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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 16.1900-1901

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Wielandt, E.: Von Stuttgarter Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.12079#0093

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VON STUTTGARTER KUNST

Jahrzehnte lang ging die Klage, dass das
Kunstleben in Stuttgart zu keinem rechten
Gedeihen kommen wolle. Wenn eine der-
artige Klage überhaupt laut wird und nicht
wieder verstummen will, so liegt darin schon
ein, wenn auch negativer, Beweis für die
Thatsache, dass gewisse Faktoren vorhanden
sein müssen, die eine rege und erfolgreiche
lokale Kunstpflege als möglich nicht nur,
sondern auch als naturgemäss erscheinen
lassen. Und wer empfände nicht im speziellen
Fall das Vorhandensein solcher Faktoren ge-
radezu als sinnfällig, der sich mit offenen
Augen und empfänglichem Sinn in der schönen
Hauptstadt des Königreichs Württemberg und
in ihrer Umgebung umsieht? Wieviel Lieb-
lichkeit und üppig prangende Fülle ist über
diesen Fleck deutscher Erde ausgegossen!
Etwas von der Milde und dem Reichtum des
italienischen Himmels scheint auf der Land-
schaft zu ruhen, die zugleich ein unvergäng-
licher Abglanz deutschen Liederfrühlings ver-
klärt. Wir meinen den Gestalten Uhland'scher
Dichtungen auf diesen schattigen Waldpfaden,
in diesen engen Hohlwegen zwischen Wein-
bergen, Obstgärten und Maisfeldern begegnen
zu müssen; wir verstehen die selige Natur-
andacht Hölderlins, dem die Schönheit der
Heimat wie eine Vorahnung Italiens und des
griechischen Inselmeers die Seele erfüllte;
wir glauben in den milden Lüften etwas von
dem seligen Wohlklang der Lyrik Mörikes
zu vernehmen. Und Stuttgart selbst! alter-
tümlich und anheimelnd, wie die besten Stücke
Hauff'scher Erzählungskunst, begrüssen uns
die alten Stadtteile, besonders der Marktplatz
und das alte Schloss; elegant und reich, ohne
aufdringlichen Prunk die neueren Strassen
und Plätze, vor allem der Königsplatz, schmuck
und vornehm die weitgedehnten, statuen-
geschmückten Parkanlagen.

Dass die Eigenart des schwäbischen Volks-
stammes reich ist an künstlerischen Zügen,
erscheint fast selbstverständlich, wenn wir
überhaupt dem Wohnsitz eines Stammes Ein-
wirkung auf dessen Anlagen und Entwicklung
zugestehen. Zwar hat im letzten Jahrhundert
die künstlerische Begabung der Schwaben
sich hauptsächlich auf dem Gebiet der Dich-
tung bethätigt, aber wie in früheren Zeiten
hat doch auch die bildende Kunst immer ein
Wort mitzureden gehabt. Unter der that-

(Nachdruck verboten)

kräftigen und schaffensfrohen Regierung des
Königs Wilhelm I. entwickelte sich eine rege
Kunstpflege, die dem modernen Stuttgart den
bestimmenden Stempel aufdrückte; und in
den ersten Jahrzehnten des Königs Karl hat
die Stuttgarter Architektur, die sich besonders
der Richtung der Neu-Renaissance zuwandte,
weit über Württembergs Grenzen hinaus Be-
achtung gefunden und Anregungen gegeben.

Wenn nun doch in den letzten Decennien
eine gewisse Stagnation eingetreten war und
es mit dem Stuttgarter Kunstleben nicht mehr
recht vorwärtsgehen wollte, so ist darin jetzt
entschieden eine heilsame Wendung einge-
treten. Um die alten Traditionen neu zu
beleben, um die für eine lokale Kunstpflege
und -Schulung so günstigen Bedingungen —
liebliche und reiche Natur des Landes, kraft-
volle, bis zum Eigensinn innerliche und in-
dividuelle Art des Volkes — in vollem Masse
auszunutzen, bedurfte es vielleicht nur einer
Zuführung neuer Kräfte von aussen; denn
für alle lokale Kunstpflege besteht eine ge-
wisse Gefahr in dem so leicht einreissenden
System provinzialer „Inzucht". Auf Zufuhr

KARL NAUMANN BILDNISSTUDIE

Die Kunst für Alle XVI. 4. 15. November 1900.

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