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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 17.1902

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Lange, Konrad von: Die Grenzboten und die moderne Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.12080#0353

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DIE GRENZBOTEN UND DIE MODERNE KUNST

Von Prof. Konrad LANGE-Tübingen.

IVTit stiller Wehmut im Herzen habe ich den
ivl Artikel »Philistertum und Kunst« in Heft 10
der »Grenzboten: gelesen, in dem der Verleger
und gleichzeitig Herausgeber dieser Zeitschrift,
Herr Johannes Grunow, sich meiner Erwiderung
gegen die Kunstrede des Kaisers (»Die Freiheit der
Kunst«, K. f. A. XVII, 193ff.) in liebevoller Weise
annimmt. Denn wie hätte ich mich dabei nicht der
schönen Zeiten erinnern sollen, wo ich noch selbst
Mitarbeiter der >Grenzboten« war und jedes Jahr
eine Karte des Verlegers mit der Anfrage erhielt,
ob ich nicht wieder einmal etwas für seine Zeit-
schrift schreiben wollte? Wo ich in gleicher Weise
für die Befreiung der Kunst von polizeilicher Bevor-
mundung wie gegen die Extravaganzen der modernen
Symbolisten und Archaisten eintrat und unter der
Hand eine Menge moderner Anschauungen zum
Besten gab, deren revolutionärer Charakter dem
Verleger damals gar nicht zum Bewusstsein ge-
kommen zu sein scheint? Wo ich freundschaftliche
Briefe mit ihm wechselte, in denen ich ihn ver-
geblich davon zu überzeugen suchte, dass doch
Richard Wagner ein ganz passabler Komponist ge-
wesen sei und dass Goethe die Worte ^welcher«
und >derselbe« beträchtlich öfter angewendet habe,
als man nach Wustmanns ;Sprachdummheiten -
glauben könnte?
Das soll nun alles vorbei sein! Herr Grunow
hat, nachdem ich längere Zeit nichts von mir hatte
hören lassen, das Tischtuch zwischen uns zer-
schnitten und wird nun niemals wieder — auch
wenn ich ihn dringend darum bitte — einen Auf-
satz von mir in den »Grenzboten« abdrucken. Schade,
schade! Ich hatte noch so vieles auf dem Herzen,
was seinen Lesern gewiss interessant gewesen wäre,
und was ich jetzt leider in einer so >kläglich
modernen« Zeitschrift wie der »Kunst für Alle« oder
ihrer erweiterten Ausgabe, der »Kunst«, publizieren
muss. Und dabei habe ich noch nicht einmal den
Vorteil, den ich früher hatte, nämlich dass mir der
Verleger in eigener Person mein Manuskript durch-
korrigiert und mein unlesbares Deutsch erst dadurch
einigermassen erträglich macht. Was soll da wohl
in Zukunft aus meinem deutschen Stil werden?
Als die Redaktion der »Kunst für Alle« mich
um eine Erwiderung auf die Rede des Kaisers bat,
ging sie wahrscheinlich von der Voraussetzung aus,
dass ich als Verfasser des »Wesens der Kunst«,
das durchgängig auf entgegengesetztem Standpunkt
steht wie die Rede des Kaisers, am meisten geneigt
sein würde, gegen die autoritative Einschränkung
des künstlerischen Schaffens, die in der letzteren
ihren Ausdruck findet, zu protestieren. Ferner dass
ich als Professor an einer süddeutschen Universität
vielleicht am ersten in der Lage wäre, meine Ueber-
zeugung in dieser Sache entsprechend der wissen-
schaftlichen Lehrfreiheit, die ich geniesse, auch vor
der Oeffentlichkeit zu vertreten. Sie sprach dabei
die Gewissheit aus, dass meine Besprechung der
kaiserlichen Kundgebung »in aller Ehrfurcht vor dem
monarchischen Prinzip den abweisenden Standpunkt
in einer durchaus sachlichen und massvollen Weise
begründen werde«. Ich hoffe, dass sie sich darin
nicht getäuscht hat. Obwohl ich eigentlich nicht die
Absicht hatte, auf die Rede des Kaisers zu antworten,
musste ich mir doch, als ich die Aufforderung er-

hielt, sagen, dass die Unabhängigkeit der Stellung,
die der Professorenstand verleiht, gewisse Ver-
pflichtungen auferlegt, die unter Umständen zwingen
können, eine Ueberzeugung, die man hat, offen
auszusprechen, auch wenn man fürchten muss,
oben damit anzustossen. Uebrigens ist es ja bekannt,
dass gerade in Süddeutschland — man denke an
Hessen und Württemberg — die Anschauungen
über die moderne Kunst, die in Preussen herrschen,
nicht so unbedingt geteilt werden, so dass man
also auch aus diesem Grunde eine Aeusserung von
süddeutscher Seite erwarten musste.
Ob es mir nun gelungen ist, in meiner Er-
widerung den richtigen Ton zu treffen, darüber
werden sich die Leser der »Kunst für Alle« ja
schon ihr Urteil gebildet haben. Und auch die
Leser der »Grenzboten: haben dazu jetzt die beste
Gelegenheit, da Herr Grunow die Liebenswürdigkeit
gehabt hat, grössere Teile meines Artikels, unter-
brochen von einigen Gedankenspänen aus seinem
Eigenen, wörtlich abzudrucken, so dass der Leser,
der denken kann und etwas von moderner Kunst
weiss, in der Lage ist, durch eine einfache Ver-
gleichung den richtigen Standpunkt zu gewinnen.
Die Redaktion der »Kunst für Alle hatte nur das
eine Bedenken, dass die moderne Kunst in meinem
Artikel zu schlecht weggekommen sei, und die an-
deren Zeitungen, die ihn abgedruckt haben, sind,
soviel ich sehe, einstimmig der Ansicht gewesen,
dass ich mich ebenso massvoll wie entschieden
ausgedrückt habe. Auch mehrere briefliche Zu-
schriften haben mir das bestätigt.


adelbert niemeyer interieur
Frühjahr-Ausstellung der Münchener Secession

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