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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 19.1903-1904

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Werner, H.: Anselm Feuerbachs Vermächtnis
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https://doi.org/10.11588/diglit.12082#0031

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-^Ö> ANSELM FEUERBACHS VERMÄCHTNIS

Schwester an Verwandte und Korrespondenzen
verschiedener Persönlichkeiten, die bestim-
mend in Feuerbachs Leben eingegriffen haben,
mit der Mutter.

Schon eine flüchtige Vergleichung der
Fassung des Vermächtnis im Manuskript mit
der Buchausgabe ergibt, daß in dieser nicht
nur „die nötigsten Redaktionsänderungen "
vorgenommen worden sind, sondern, daß die
Mutter ganze Kapitel unter geschickter, aber
sehr willkürlicher Benützung der vorhandenen
Briefe in ganz vortrefflicher Anpassung an
Feuerbachs Ausdrucksweise selbst verfaßt
hat. Dabei kam ihr eine außergewöhnliche
Bildung und durch stete Tätigkeit — sie
hatte unter anderem eine feinsinnige Bio-
graphie ihres Gatten, des Archäologen An-
selm Feuerbach geschrieben — geförderte
literarische Schulung zu statten.

Die ausführliche Darlegung aller Abwei-
chungen und Verschiedenheiten würde weit
mehr Raum beanspruchen als für diese kleine
Abhandlung zur Verfügung steht. Eine kurze

FRANZ STUCK VERWUNDETER KENTAUR

Photographieverlag von Franz Hanfstaengl, München

Ueberschau, die die wichtigsten und cha-
rakteristischsten Unterschiede hervorhebt,
muß genügen.

Schon 1874, ein Jahr nach Antritt seiner
Akademieprofessur, hatte Feuerbach in Wien
eine, seine persönlichen Verhältnisse be-
handelnde Schrift verfaßt. Er berichtete da-
mals im August an die Mutter, daß sein
Buch neun Kapitel enthielte, die nur Tat-
sachen, aber solche von so kapitaler Lächer-
lichkeit brächten, daß er nach dem Erscheinen
nicht mehr nach Deutschland kommen könne.
Zunächst käme ein biographisches Vorwort,
dann als erstes Kapitel der — mit erheb-
licher Kürzung und Abschwächung im Ver-
mächtnis gedruckte — Artikel „Die Deut-
schen in Italien" u. s. w.

Schon daraus geht hervor, daß die Ab-
sicht einer Selbstbiographie zurücktrat vor
dem Gedanken, sich an Feinden und Gegnern
durch eine Schmähschrift zu rächen. Diese
Absicht spricht mit voller Deutlichkeit ein
vielleicht auch schon 1874 entstandener Ent-
wurf zu einer Vorrede aus, der bekennt,
das Buch sei nicht geschrieben, weil der
Lebende besser zu Mitteilungen über sich
selbst geeignet sei als der Fremde, sondern,
weil den Verfasser das leidenschaftliche Be-
dürfnis treibe, diejenigen mit Namen zu
nennen, die sich angemaßt hätten, unbefugt
hemmend in seine Entwicklung einzugreifen.
In der Tat sind große Abschnitte in der
Urschrift des Vermächtnis nichts anderes
als Schmähartikel. Namentlich die Karls-
ruher Akademiedirektoren Schirmer und Les-
sing, Graf Schack und die Wiener sind übel
mitgenommen.

Das alles taugte aus naheliegenden Gründen
freilich nicht zu einer Veröffentlichung gleich
nach Feuerbachs Tod. Die Mutter wählte
daher eine am 31. Oktober 1878 von ihrem
Sohne niedergeschriebene, ganz kurze Vor-
rede und fügte willkürlich den Schlußsatz hin-
zu, der den angeblichen Verfasser sagen läßt:
sollte er in seiner Schrift hie und da eine
Seele für das Verständnis seiner Werke er-
wecken, so wäre alles erreicht, was er zu
wünschen habe.

Bei der Gestaltung des erzählenden bio-
graphischen Textes tilgte die Bearbeiterin zu-
nächst alle gehässigen Ausfälle und Angriffe
gegen bestimmte Persönlichkeiten, milderte
alle Derbheiten des Ausdruckes und ergänzte
die Darstellung durch Einfügung der hoch-
interessanten Briefauszüge, die in der Un-
mittelbarkeit der Empfindungsäußerung dem
Vermächtnis eigentlich erst die fesselnde Eigen-
art verleihen.

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