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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 20.1904-1905

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Lange, Konrad von: Eine sensualistische Kunstlehre
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Von Ausstellungen und Sammlungen - Denkmäler - Vermischtes
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https://doi.org/10.11588/diglit.12355#0055

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^4s£> EINE SENSUALISTISCHE KUNSTLEHRE -CSs^-

die im Mittelhirn und Rückenmark liegen. Von hier Unlustgefühle wie Zorn von einem Erröten und
werden sie durch ein anderes System von Nerven- Schwellen der Adern begleitet sind, hat ihn dann
fasern zu den erwähnten Muskelfasern in den Wän- weiterhin zu der Meinung geführt, daß auch die
den der Blutgefäße geleitet, die durch sie entweder Unlustaffekte, wenigstens einige von ihnen in Wirk-
gestreckt oder zusammengezogen werden, woraus lichkeit Lustaffekte seien. Daß viele Menschen
sich entweder eine Erweiterung oder Verengerung beim Zorn gerade blaß werden, und daß anderseits
der Blutgefäße ergibt. Jeder Affekt beruht auf viele sichere Unlustgefühle wie Reue und Scham
einer Veränderung des vasomotorischen Systems, mit einem Erröten verbunden sind, bleibt dabei
und da der ästhetische Genuß durch Affekte her- unberücksichtigt. Auch wäre mit dem Nachweis,
vorgerufen wird, so ist auch er nichts anderes als daß Zorn ein Lustgefühl sei, nicht viel gewonnen,
die Folge einer solchen Veränderung. da ja andere Unlustgefühle wie Angst, Enttäuschung

Es wird aus der Darstellung des Verfassers und Schrecken (auch nach dem Zugeständnis des
nicht ganz klar, ob sich nach seiner Ansicht bei Verfassers) in der Tat eine Verengerung der Blut-
Lustgefühlen die Gefäße erweitern, bei Unlustge- gefäße herbeiführen — oder wie sich Lange aus-
fühlen dagegen verengern. Doch scheint es nach drückt, durch eine Verengerung der Blutgefäße her-
den Bemerkungen über die Angst, daß dies seine beigeführt werden, d. h. wirkliche Unlustgefühle sind.
Meinung ist. Man müßte dann also annehmen, daß Da nun die Kunst nicht nur die zweifelhaften, son-
die gewöhnlich der Unlust zugezählten Gefühle, die dern auch die zweifellosen Unlustgefühle darstellt,
er als Lustaffekte charakterisiert, also Zorn und bliebe es bei dieser Erklärung nach wie vor völlig
Kummer, auf einer Erweiterung der Blutgefäße be- unklar, wie der Mensch dazu käme, sich freiwillig
ruhen. Unlustgefühle nur deshalb zu verschaffen, weil sie

Nach Lange hat nun jeder Mensch ein Bedürfnis in der Kunst keinen großen Schaden anrichten
nach Affekten. Da er diesem Bedürfnis im gewöhn- können. Man müßte denn annehmen, daß dem
liehen Leben wegen der damit verbundenen Gefahren Menschen jede Veränderung des vasomotorischen
für sich und andere nicht Genüge leisten kann, ver- Systems angenehm sei, einerlei ob sie auf eine Er-
schafft er sich dieselben künstlich durch die Kunst, Weiterung oder eine Verengerung der Blutgefäße
die den Lustgehalt der Affekte ohne die damit ver- hinausliefe. Wenn dies die Meinung des Verfassers
bundenen Gefahren zur Wirkung kommen läßt. ist, so dürfte dagegen zu erwidern sein, daß der

Das klingt alles sehr einfach und im Munde eines Zorn dem Menschen ganz ohne Zweifel schadet,
Mediziners gewiß auch überzeugend. Es ist nur und daß kein moderner Kulturmensch sich freiwillig
leider nichts als Hypothese und in seinen Einzel- einem solchen Unlustgefühle hingeben wird. Ich
heiten, wie mir von physiologischer Seite versichert muß wenigstens nach meiner Erfahrung gestehen,
wird, veraltet. Lange ist zu seiner Auffassung der daß ich mich im Leben vor jedem Unlustgefühl aufs
Affekte als Genußmittel offenbar nur dadurch gc- Sorgfältigste hüte und es nur, wenn es mir auf-
kommen, daß gewisse freudige Affekte von einem gezwungen wird, pflichtschuldigst durchkämpfe, und
Erröten, d.h. einer Füllung der unter der Gesichts- zwarimmerunterSchädigungmeinerGesundheit.Eine
haut liegenden Blutgefäße begleitet sind. Daß auch Veranstaltung, die den Zweck hätte, dem Menschen

allerlei Affekte, auch Un-
lustaffekte zu verschaf-
fen, hätte für mich etwas
ebenso Lächerliches wie
ein Schreibtisch, über
dem jemand die Worte an-
gebracht hätte: Mensch,
ärgere dich!

Das einzige, was an
der Langeschen Beweis-
führung richtig zu sein
scheint, ist das, daß der
Mensch auch die Unlust-
gefühle im Kampf ums
Dasein braucht und des-
halb ein Interesse für
die Gattung darin be-
steht, daß er sich auch
nach der Seite der Un-
lust hin bis zu einem
gewissen Grade auslebt.
Diesem Umstände trägt
die Illusionstheorie da-
durch Rechnung, daß sie
die höhere Aufgabe der
Kunst in einer Erweite-
rung und Vertiefung des
Gefühlslebens, d. h. in
einer Ergänzung und
Vervollständigung des
menschlichen Wesens er-
kennt. Das hat aber mit
dem unmittelbaren Ge-
nuß der Kunst nichts zu

ernst oppler Selbstbildnis tun und kann uns nicht

Große Kunstausstellung Dresden 1904 an der Ueberzeugung irre

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