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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 21.1905-1906

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Von Ausstellungen und Sammlungen - Personal- und Atelier-Nachrichten
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https://doi.org/10.11588/diglit.12156#0189

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-ü=4sö> VON AUSSTELLUNGEN UND SAMMLUNGEN <^5^-

■^^^^^^^■■■^■^■^■^■■^^^^^H Stärke und Originalität seiner Künstlerschaft

liefern können. Gleich daneben aber darf ein
anderes Bild >Kinder, die zur Schule gehen«,
gerühmt werden. Rechts in der Straße das
Schulhaus, links einer der grünen holländi-
schen Plätze, über den die kleinen, meist
weißgekleideten Mädchen einzeln oder zu
Paaren ihrem Ziele zusteuern. Welche Frische
und Liebenswürdigkeit in der Malerei, wieviel
feine Beobachtung in der Wiedergabe des
Ortes, von Licht und Luft und der kleinen
fröhlichen Menschenkinder! Und bei aller
Helligkeit und Farbigkeit — welch' bezaubern-
der Gesamtton! Ganz ausgezeichnet ist die
Studie zu dem Porträt Bodes in der dies-
jährigen Künstlerbund-Ausstellung. Sie ver-
dient entschieden den Vorzug vor dem Bildnis
selbst. An frühere Leistungen Liebermanns,
an seine Spitalgärten, erinnert das im Besitz
der Wiener modernen Galerie befindliche
>Haus in Edam«; aber es ist farbiger und luf-
tiger als jene und jedenfalls ein höchst cha-
rakteristisches Beispiel für des Künstlers Art.
Das gleiche gilt für einige Studien aus Noord-
wijk, die Liebermann bereits ganz bildmäßig
gestaltet hat. Ein anderes neues Bild, ein
iSommergarten bei Leiden« — als Kompo-
sition wohl des Künstlers bestes Werk
unter seinen Biergärten — wirkt vielleicht zu
kalt in seiner hellen Farbigkeit, um die ton-
schönen, früheren Leistungen in malerischer
Beziehung zu übertreffen. Diesen und einigen
anderen Werken sind noch Zeichnungen und
Pastelle beigesellt, in denen Liebermanns
große Künstlerschaft mindestens ebenso schla-
gend zum Ausdruck kommt wie in seinen Bil-
edouard agneessens (1842-1885) dame in blau dern- Aucn hier Judenstraßen, Biergärten, Al-
leen, alle die Themata, die er späier gemalt hat.
Die meisten dieser Zeichnungen sind komplette,
seren Eindruck, als wenn sie im Feuer der Inspi- über jedes Lob erhabene Meisterwerke. Liebermanns
ration, vor der Natur entstanden sind. Seine Studien Wirkung auf die Berliner künstlerische Jugend läßt
und Skizzen sind darum zweifellos immer ganz und sich an Konrad v. Kardorff's neuen Bildern
allein er selbst, und soviel neue Motive Liebermann beobachten. Es ist gewiß lobenswert, daß sich die
findet, soviel einzige und köstliche Werke bringt er heranwachsenden Talente einen so hervorragenden
hervor. Man findet in dieser Ausstellung eine so Künstler als Führer und Vorbild wählen; sie dürfen
stattliche Zahl davon, daß der Ruhm und das An- sich die Sache jedoch nicht so leicht machen wie
sehen des Künstlers durch sie erheblich vermehrt Kardorff, der u. a. einen >Gasthofgarten« und eine
und gestärkt erscheint. Natürlich sind die meisten »Dorfstraße«, diese mit flatternder Wäsche im
dieser neuen Schöpfungen schon in den Händen Vordergrund, gemalt hat. Das sind bekannte Lieber-
der Sammler. In erster Reihe verdienen Lieber- mannsche Motive; aber sie vertragen durchaus nicht
manns im letzten Herbst gemalte Darstellungen der eine nähere Prüfung und einen ernsthaften Ver-
»Judenstraße in Amsterdam« genannt zu werden. gleich. Hier ist weder das innige, feurige Erfassen
Wer sich einmal in das Treiben dieser von Händ- der Wirklichkeit, das Liebermanns Bilder auszeichnet,
lern und Käufern, von Geschrei und Lärmen, von noch etwas von dessen großer malerischer Kultur,
tausend Dingen und Düften erfüllten Straße gewagt Erfreulicheres hat der junge Berliner Maler in einigen
hat, muß staunen, mit welchem fabelhaften Gelingen Stilleben geliefert, in denen er van Gogh und
Liebermann diese bunte, laute, wogende Welt fest- Cezanne folgt. Auch der auf dem letzten Künstler-
gehalten hat. Die vielgestaltige, lebhafte Menge, die bund so vorteilhaft hervorgetretene Leipziger Maler
sich vor Gemüseständen und wüsten Läden zwischen Curt Tuch enttäuscht mit seinen hier vorgeführten
den schmutzigbraunen Häusern drängt, scheint sich Bildern ein wenig. Er produziert sich mit einigen
— dank der Kunst des Malers! — vor den Augen Porträts, ein paar Landschaften und drei Stilleben,
des Beschauers zu bewegen. Es ist unmöglich, den Von den Bildnissen hat das eines alten, graubärtigen,
einzelnen zu erkennen; aber dieses Gewühl, aus mit umgehängtem Paletot, barhäuptig, en face vor
dem allerlei starke Farben an Kleidern und Tüchern, einem grauen Grunde sitzenden Herrn gute male-
von Gemüsen und Früchten hervorleuchten, hat rische Qualitäten. Breit heruntergestrichen, wirkt
etwas Lustiges und Aufregendes, wie das Leben es entschieden lebendig. Von den Landschaften ist
selbst. Nur einer, der so schnell und sicher sieht, die eine zu hart in der Farbe, die zweite zu lichtlos,
wie Liebermann und ein so eminenter Maler ist, aber gut gemalt. Den Stilleben fehlt teilweise die
konnte diese Fülle der Eindrücke künstlerisch be- Delikatesse. Irdene Blumentöpfe sind nurin vollendet
wältigen. Diese drei Judenstraßen hier sind viel- schöner Malerei angenehm zu sehen. Der Bildhauer
leicht das Eigenartigste, was von einem deutschen Georg Kolbe bietet in dem archaistisch behan-
Maler in der letzten Zeit geschaffen worden ist. delten, aber trotzdem lebendig wirkenden Bronzekopf
Liebermann hätte kein besseres Argument für die seiner Gattin wieder eine sehr erfreuliche, sein feines

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