RUDOLF NISSL
Sümmerausstellung der Münchner Secession
SPAZIERGANG
DIE INTERNATIONALE KUNSTAUSSTELLUNG DER
MÜNCHNER SECESSION
Von Georg Jacob Wolf
FXie Sommerausstellungen der Münchner
„Secession" haben längst ihren rauschen-
den revolutionären Charakter verloren. Das
war anders vor etwa einem Jahrzehnt, in der
kämpfefrohen Jugendzeit des Secessionismus!
In der Zeit, da Slevogt seine „Danae" malte,
da Stuck sich noch nicht in vornehm archai-
sierender Malerei gefiel, da Exter, Habermann,
Herterich, Langhammer mit der ganzen Wucht
ihres künstlerischen Temperaments losschlu-
gen! Ich weiß nicht, ob es zu bedauern ist,
daß Sturm und Drang der Secession hinter
uns liegen. Wer diese köstliche, begeisterte
Werdezeit miterleben durfte, der wird freilich
immer wieder mit einer gewissen zärtlichen
Sehnsucht auf sie zurückblicken. Aber der
Kunst an sich kommt doch wohl mehr aus
der stillen Reife, in die unsere Secession jetzt
eingetreten ist. Die Führer der Secession
sind heute keine Suchenden mehr, keine Ex-
perimenteure, sie haben zumeist ihren eigent-
lichen Stil gefunden, sie haben den rechten
Ausdruck entdeckt, uns ihr inneres Leben und
Erleben in der Formensprache der Kunst zu ver-
mitteln, sie sind ausgesprochene „Charakter-
köpfe" geworden, Künstler, die ohne „Bluffs"
arbeiten, einzig und allein auf die Qualität ihrer
Arbeit bedacht. Dieser Ernst und diese Ruhe
und Reife der führenden Secessionisten über-
trägt sich natürlich aufdieGesamtwirkung ihrer
Ausstellungen. Wenn man diesen nachsagt,
sie seien still, so ist damit nicht an die Stille
eines Friedhofs gedacht. Still und ernst ist
auch ein früchteschweres Aehrenfeld, ehe der
erste Sensenhieb erklingt . . .
Die heurige internationale Kunstausstellung
der Münchner „Secession" ermangelt aller
„Sensationen", aller „Clous" und „Bluffs". Das
ist gut. Denn mit der wahren Kunst haben
all diese Dinge wenig genug zu tun; sie spe-
Die Kunst für Alle XXIII. 22. 15. Auyust 1908
505
84
Sümmerausstellung der Münchner Secession
SPAZIERGANG
DIE INTERNATIONALE KUNSTAUSSTELLUNG DER
MÜNCHNER SECESSION
Von Georg Jacob Wolf
FXie Sommerausstellungen der Münchner
„Secession" haben längst ihren rauschen-
den revolutionären Charakter verloren. Das
war anders vor etwa einem Jahrzehnt, in der
kämpfefrohen Jugendzeit des Secessionismus!
In der Zeit, da Slevogt seine „Danae" malte,
da Stuck sich noch nicht in vornehm archai-
sierender Malerei gefiel, da Exter, Habermann,
Herterich, Langhammer mit der ganzen Wucht
ihres künstlerischen Temperaments losschlu-
gen! Ich weiß nicht, ob es zu bedauern ist,
daß Sturm und Drang der Secession hinter
uns liegen. Wer diese köstliche, begeisterte
Werdezeit miterleben durfte, der wird freilich
immer wieder mit einer gewissen zärtlichen
Sehnsucht auf sie zurückblicken. Aber der
Kunst an sich kommt doch wohl mehr aus
der stillen Reife, in die unsere Secession jetzt
eingetreten ist. Die Führer der Secession
sind heute keine Suchenden mehr, keine Ex-
perimenteure, sie haben zumeist ihren eigent-
lichen Stil gefunden, sie haben den rechten
Ausdruck entdeckt, uns ihr inneres Leben und
Erleben in der Formensprache der Kunst zu ver-
mitteln, sie sind ausgesprochene „Charakter-
köpfe" geworden, Künstler, die ohne „Bluffs"
arbeiten, einzig und allein auf die Qualität ihrer
Arbeit bedacht. Dieser Ernst und diese Ruhe
und Reife der führenden Secessionisten über-
trägt sich natürlich aufdieGesamtwirkung ihrer
Ausstellungen. Wenn man diesen nachsagt,
sie seien still, so ist damit nicht an die Stille
eines Friedhofs gedacht. Still und ernst ist
auch ein früchteschweres Aehrenfeld, ehe der
erste Sensenhieb erklingt . . .
Die heurige internationale Kunstausstellung
der Münchner „Secession" ermangelt aller
„Sensationen", aller „Clous" und „Bluffs". Das
ist gut. Denn mit der wahren Kunst haben
all diese Dinge wenig genug zu tun; sie spe-
Die Kunst für Alle XXIII. 22. 15. Auyust 1908
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