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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 25.1909-1910

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Segantini, Giovanni: Aus G. Segantini's Schriften und Briefen
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https://doi.org/10.11588/diglit.12502#0350

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AUS G. SEGANTINI'S SCHRIFTEN UND BRIEFEN*)

Am meisten liebe ich die Sonne, nach der wüßte ich Ihnen wirklich nicht zu antworten, ^
Snnnp den Frühlino dann dip Duellen. vielleicht miiftte man 7nr Rrlrlämno hi«; 711 \4

Sonne den Frühling, dann die Quellen, vielleicht müßte man zur Erklärung bis zu
die in den Alpen kristallklar aus den Felsen den Wurzeln hinabsteigen, um alle Empfin-
sprudeln, die in den Adern der Erde rieseln düngen der Seele bis zu ihren ersten, auch f}
und fließen, wie das Blut in unsern eigenen den entferntesten Bewegungen der Kindheit M
Adern und in denen der Tiere. zu studieren und zu analysieren. Und den- I«

Die Sonne ist die Seele, die der Erde Leben noch ? Wer vermag es zu begreifen, wie unter vj
spendet, der Frühling ihr fruchtbares Gebären. der Erde die Blume keimt? Sie fragen mich N

Diese drei Dinge liebe ich mehr als die ferner, ob ich die sogenannte Welt, die Gesell-
andern, denn sie bringen uns, der Erde und schaft und ihre Leidenschaften gekannt habe?
allen Lebewesen Lust und Freude. Darauf kann ich Ihnen erwidern, daß ich ge-

* lebt habe, ohne zu vegetieren; daß ich wirk- m

An einen jungen Maler. Was immer für lieh gelebt habe, ohne in den Büchern zu stu- o.
ein kleiner Ort Ihnen auch bestimmt sei,— dieren, sondern immer beobachtend und nach-
für eine liebeerfüllte Künstlerseele wird er denkend. Ich habe die sogenannte Welt ge-
schön sein. Die Natur will geliebt und von kannt und all ihre sozialen Schichten nicht (i
allen Seiten studiert werden. Je enger be- von fernher, sondern ich lebte darin als Mit- f)
grenzt Ihr kleiner Wohnort ist, desto glück- glied und erfuhr so all ihre Leidenschaften
licher werden Sie sein.

Sobald Sie draußen in der Natur sein wer-
den, fangen Sie an, die Erde unter Ihren Füßen
wiederzugeben, die kleinen Quellen, den grü-
nen, blühenden Rasen, die Steine, dann die
Bäume im Verhältnis zu den Dingen, die sie
umgeben; dann die Tiere, immer wieder im
Verhältnis zu den Dingen, die sie umgeben;
dann den Menschen im Verhältnis zu den
Dingen in der Natur und zu den Tieren. So
steigt man stufenweise von der schönen Wie-
dergabe der einzelnen Dinge in den Wechsel-
wirkungen von Licht und Farbe zu schönen -,j
Ausdrucksformen empor, zu schönen Linien, * , ^&~Jf n

die einen Gedanken darstellen, zu schönen
Empfindungen.

Im Nachdenken wird die Kunst wiederge-
schaffen: der Plebs will, daß die Kunst leicht
und dem Auge zugänglich sei, ohne daß der
Gedanke in Mitleidenschaft gezogen wird, und
doch ist die Kunst ein Formgedanke, ein Far-
bengedanke, ein Harmoniegedanke, ein Liebes-
und Schönheitsgedanke, der alle Dinge um-
gibt.

*

Sie fragen mich, wie sich in meinem fast
wilden Leben inmitten der Natur Denken und
das Gefühl der Kunst entwickelt habe. Darauf

*) Diese Bekenntnisse entnehmen wir mit Genehmigung der
Verleger Herren Klinkhardt & Biermann in Leipzig dem Buche:
„Giovanni Segantinis Schriften und Briefe", herausgegeben von
Bianca Segantini (geheftet AI. 5.—, geb. M. 6.50). Die Proben können
nicht den bedeutungsvollen Inhalt des Buches erschöpfen, das so
viele wichtige Dokumente zur Würdigung der Kunst und Persönlich-
keit Segantinis zusammenträgt; sie sollen nur einen Begriff davon
geben, wie sieh die starke Persönlichkeit Segantinis in diesen L MARK IM AT E LI E R

Briefen und Schriften enthüllt. Unter den kunstbiographischen Wer-
ken der Neuzeit darf die Publikation einen Ehrenplatz beanspruchen. Copyright Könyves Kälmän, Budapest

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