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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 26.1910-1911

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Wolf, Georg Jacob: Die Internationale Kunstausstellung der Münchner Secession 1911
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https://doi.org/10.11588/diglit.13089#0522

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DIE INTERNATIONALE KUNSTAUSSTELLUNG DER MÜNCHNER SECESSION 1911

Die deutsche Kunst der Gegenwart spiegelt
jenes sozialpolitische Streben nach beruhigter
Mittelmäßigkeit. Es gibt heute in der deutschen
Kunst einen Ueberfluß an „schönen Talenten".
Aber wie Einsiedler, isoliert, stehen die Sel-
tenen, deren Wirken man mit Fug und Recht
genial nennen darf. Ich weiß: die „schönen
Talente" sind nicht zu unterschätzen. Denn
es fehlt auch unter ihnen nicht an denen,
die Ernst haben und Streben. Aber es fehlt
ihnen die Außerordentlichkeit, es fehlt ihnen
der Funke des Schöpfers. Diese Erscheinung
ist bei der deutschen Kunst besonders hervor-
stechend. Bedenke ich dies, so möchte ich
oft die schöpferische Leichtigkeit der germani-
schen Rasse in Dingen der bildenden Kunst
bezweifeln. Die Germanen sind Philosophen
und Musiker. Kant und Beethoven sind ger-
manische Typen. Lionardo so gut wie Watteau

kann man sich nur als Romanen denken.
* «

In nähere Perspektive gerückt, erlebt diese
Dinge jeder Kunstfreund jeden Tag in jeder
Ausstellung. Auch Ausstellungen sind Spiegel.
Nicht immer richtig zeigende. Aber eben doch
Spiegel. Was sie spiegeln, ist die vielerwähnte
Existenz der schönen Talente. Unsere Aus-
stellungen werden vom Niveau beherrscht; es
regiert viel mehr die kompakte Masse als die
Individualität. Es bleibt, verläßt man eine Aus-
stellung von anständigen Qualitätswerken, ein
sympathischer Gesamteindruck. Selten, und
nur wenn wir durch irgendwelche äußeren Um-
stände stark bewegt sind, ereignet es sich, daß
uns ein Kunstwerk „nachläuft". Daß es so
zum Erlebnis des Auges und zum Erlebnis der
Seele wird, daß es immer vor uns steht, wir
mögen es rufen oder nicht. Ganz anders er-
geht es uns mit Werken der alten Kunst. Ein
Bild von El Greco z. B. läßt einen nicht mehr
los, sobald man es einmal mit seinen Blicken
innig umschlungen hat. Denn es besitzt jene

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