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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 28.1912-1913

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Markus, S.: Die Kunst der Zukunft: zeitgemäße Betrachtungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.13091#0592

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Michelangelo und Rembrandt ganz und allein meinen (auch Genies können Irrwege wandeln,
aus sich selbst geschöpft, ein Shakespeare und ohne daß der unbeteiligte Betrachter gezwungen
Goethe sich je geschämt hätten, die diversen ist, die Folgen davon genial zu finden!) und
Einflüsse, denen sie unterworfen waren, vor in anderer Richtung ganz Erkleckliches geleistet
aller Welt bloßzulegen, ein Beethoven und haben, und ebensowenig rüttelt daran die oft
Wagner ihre Musik aus den Wolken gezogen geradezu faszinierende Wirkung diverser Farben-
hätten! Dazu eben sind die großen Tatsachen, kombinationen. Wenn es in der Kunst darauf
Taten und Errungenschaften da, daß man sie allein ankäme, dann dürfte man mit gleichem
respektiert, beherzigt und auf ihrer Basis weiter- Recht auch die stümperhaften Malversuche von
baut! Nicht dazu, daß blinde Anmaßung sie Kindern als Kunstwerke ansprechen, denen
zum alten Eisen werfe und die ganze Kunst- man da und dort in der Wohnung oder im
geschichte wieder von vorne beginne! Wie ja Atelier eines Malers begegnet. Sie haben vor
auch kein vernünftiger Mensch bei der Ent- den Produkten ihrer kindisch gewordenen oder
deckung des Radiums daran dachte, Wasser- sich gebärdenden erwachsenen Kollegen über-
dampf und Elektrizität zu beseitigen, kein dies den Vorzug der Echtheit und den größerer
seriöser Arzt die medizinische Wissenschaft formaler Wahrheit voraus. Und der wiegt in
eines Serums oder Lebenselixiers wegen, dessen der Kunstwertung mehr, als noch so intensive
Herstellung ihm einmal gelingen sollte, als Farbenräusche, die schließlich doch nichts an-
leeren Dunst verleugnen und verachten -wird____ deres sind und sein wollen, als eben „Räusche",

Kubisten, Futuristen, Expressionisten . . . die und die daher gleich diesen Ernüchterung und

Titel fliegen nur so in der Luft. Bünde entstehen, moralischen und physischen Katzenjammer im

kühneNeuerertunsich zu Wahlverwandtschaften Gefolge haben....

zusammen, Programmschriften geben das Bluff, das ist der Ausdruck, der diesen

Zeichen zum Losschlagen, und die Kunsthäuser, modernsten Exzentrika entspricht. Weil ihre

Kunstsalons und Kunstausstellungen füllen sich Schöpfer anders sich nicht Geltung und einen

gleichsam über Nacht mit den durch Posaunen- Namen zu schaffen verstehen, weil ihre Fähig-

und Trompetenton avisierten Produkten einer keiten zu wahren Kunstwerken nicht ausreichen,

neuen, ungeahnten und bahnbrechenden „Höhen- weil sie, endlich, Neues nicht produzieren

kunst". In Paris, in München, in Dresden und können, während solches von ihnen doch ver-

in Berlin, in allen größeren Kunstzentren machen langt wird, . . . bald aus jenem, bald aus diesem

sie sich breit, erregen sie Staunen und Ver- Grunde greifen sie zum Streusand, um ihn

wunderung, Kopfschütteln und Lachen. Und dem anmaßenden und schwer zu befriedigen-

auch Zürich hat sein Teil, sah das Wunder den Forderer Publikum in die Augen zu stieben,

und freut sich aufs neue der exotischen Pracht Verbrechen? O nein! Nur Notwehr! Man

dieser Kunst aus den Stuben großer Kinder, wollte es ja so. Und nun hat man's, und es

künstlerischer Wiedertäufer, raffiniertester — ja, steht uns nun schlecht an, Klage darüber zu

warum es nicht aussprechen, was Hundert- erheben und zu führen. Denn diese „Kunst"

tausende doch denken! — raffiniertester Bluffer! — wir müssen's zugeben —ist wirklich und

Oder was ist der Großteil dieser expressio- wahrhaftig „neu". Und weil sie das ist, ist

nistischen Machwerke anders als Bluff? Diese sie auch „persönlich". Und weil sie persön-

freche Jongliererei mit faszinierenden und an- lieh ist, sind ihre Schöpfer alle „Persönlich- ^

dern Farbflächen ? Diese unheilvolle Auflösung keiten"... So schließt man wohl da und dort, K

jeglicher Form! Diese ambitiöse Emporsprei- wo die Begriffe sich verwirren, wo Exzentrizität «

zung einer öden Inhaltslosigkeit zum seelischen und fratzenhafte Originalität gleichbedeutend f

Extrakt einer exzeptionellen Individualität! Man sind mit Individualität und Schöpferkraft von (<

zeige uns das Große, Ernste in dieser Kunst, eigensten Gnaden. Der von wüster Mode- {

und wir stehen nicht an, sie als das zu nehmen, krankheit Unbefleckte aber lächelt und geht C

was sie zu sein vorgibt. Bis dahin aber lasse kopfschüttelnd vorüber. Diese Kandinsky, De- G

man uns zweifeln, belasse man uns in der launey und Fauconnier und wie sie alle heißen, y

gesunden Ueberzeugung, daß eine Kunst, die denkt er, sind ein eigentliches Strafgericht, !j

mit ihrer Formenwelt nicht in der Wirklichkeit eine böse Antwort auf tausendjähriges Maler- V

fußt, den Erfahrungen und Tatsachen von Jahr- elend, unerträgliche Künstlermisere. Die bittere r,

tausenden Hohn spricht und die fundamentalste Notwendigkeit hat sie gezeugt, Armut und J

Voraussetzung aller künstlerischen Gestaltung: Hunger haben ihnen zu Gevatter gestanden. fl

die Form, als überlebt verwirft, auf Achtung Solange der Künstler kämpfen muß um sein 0

keinen Anspruch hat. Daran ändert auch der tägliches Brot, ohne es immer auch zu er- C

Umstand nichts, daß viele ihrer Produkte von langen, solange wird er sich dafür rächen, in- G

Leuten stammen, die es mit ihrem Wahne ernst dem er Kunstapostate, Kaufmann wird und \

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