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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 29.1913-1914

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Fechter, Paul: Die Künstler und die Bildung
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https://doi.org/10.11588/diglit.13092#0547

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\ Alle Produktion ist ein zweifaches: ein Er- lerischen Prozesses, in deren Umrißlinien der j
1 lebnis und eine Gestallung. Der Mensch Wissende leicht die Spuren Conrad Fiedlers I
) künstlerischen Instinkts, der mit offenen Sinnen erkennen wird, ergeben sich von selbst die I
) und offener Seele den Dingen naht, erlebt Konsequenzen, die für den künstlerischen I
) sie, unabhängig von ihrer begrifflichen Be- Menschen aus seinem Verhältnis zu den Bil- I
/ deutung, in ihrer Sichtbarkeit, als Seiende und dungstendenzen der Gegenwart erwachsen. Jede
l erlebt diese Sichtbarkeit zugleich als Ausdruck der beiden oben angedeuteten Möglichkeiten
( ihres wesentlichsten Seins. Indem er sich führt zu einer Schwächung der Produktion,
j lediglich seiner Anschauung überläßt, alles Derjenige, der innerhalb des üblichen Bildungs- .
j begriffliche Erkennen ausschaltet, erfaßt er die ganges verbleibt, wird in den allermeisten j
) Welt, nicht nur quantitativ intensiver als der, Fällen durch die Belastung mit abstraktem I
I dem dieser spezifisch künstlerische Instinkt Material und dem damit notwendig werdenden I
I fehlt, sondern er bleibt auch etwas qualitativ Energieaufwand für das bloße Aufbewahren I
' von dem Erlebnis anderer völlig verschiedenes, fremder begrifflicher Dinge eine Schwächung <
Auch Menschen nicht produktiver Art ver- seiner Erlebensfähigkeit und damit zugleich
, mögen im Schauen den Dingen gewissermaßen seines Kunstwollens erfahren müssen. Das
pantheistisch nahezukommen, ihre Betrachtung begriffliche Wissen, das nicht selbst gewonnen,
I vielleicht sogar bis zu ekstatischem All-Einheits- sondern fertig übermittelt während langer Jahre i
| empfinden zu steigern; nur im künstlerischen dominiert, stellt sich zwischen Individuum und j
I MenschenabersetztsichdasErlebenderUmwelt Umwelt, verringert die Möglichkeit, die Dinge (
I in eine Aktivität, einen Trieb, ein Wollen und ein rein als Dasein zu erleben und das Erlebnis (
' Müssen um. Der wirklich künstlerische Mensch zum sichtbaren Ausdruck zu verdichten. Die
vermag nicht in der Betrachtung zu verharren; eine Hälfte des künstlerischen Prozesses er- J
das Erlebnis zwingt ihn, sobald es einen ge- fährt eine Schwächung; den einzigen Ersatz 1
i wissen Grad von Intensität erreicht hat, un- dafür gibt der Umstand, daß durch den ,
I weigerlich zu einem Fortschreiten über die größeren Besitz an Wissen, und die damit )
I Passivität hinaus zur Gestaltung. Die Rezeptivi- zum Teil doch verbundene Bewußtheitsstei- i
I tät wird abgelöst durch die bewußte Tätigkeit: gerung, wenigstens die Möglichkeit gegeben (
I das Erlebte wird aus der Sphäre des Subjek- ist, die Ausdruckstätigkeit, das technische (
i tiven herausgelöst, wird Objekt der Gestaltung. Moment im weitesten Sinne, durch Historie (
Die Hand setzt die Tätigkeit der Sinne fort, und Ueberlegung der mit abstrakten Mitteln (
indem sie das Erlebte frei von allem Verwir- faßbaren Probleme formaler Art zu steigern j
renden hinstellt — und damit zugleich sein und zu vervollkommnen. Manches wird dadurch 1
I wesentlichstes Sein, wie es dem Schaffenden ersetzt; das innere Gleichgewicht des Resul- /
sich darstellt und somit dessen besonderes tats aber bleibt gestört, — weil immer etwas )
i Welterleben, die Grundlage seines Kunstwol- Begriffliches mitsprechen muß und das Inter- f
lens zum Ausdruck bringt. Das Gefühl, in der esse am Werk somit in der Hauptsache nur (
ersten Phase das Wesentliche des Prozesses, intellektueller Natur und darum nicht bleibend (
wird in seiner zweiten, in der Gestaltung zu- sein kann. (
rückgestellt: aus der rezeptiven Anschauungs- Von der entgegengesetzten Seite her ergibt )
beziehung wird eine aktive bewußte Ausdrucks- sich die Schwächung der Produktion bei dem- >
tätigkeit, deren Objekt das Erlebnis, deren jenigen, der den Zwang des Abstrakten vor- )
Agens das eigentümliche Kunstwollen oder her abschüttelt. Die Erlebnisfähigkeit bleibt (
i Kunstmüssen ist, daß im Werk sich und den kräftiger, das Verhältnis zu den Dingen ein |
i Dingen zugleich Ausdruck und Formulierung engeres: dafür fehlt die Durchbildung der Intel- 0
i schafft. Je nach Temperament und Veranla- lektsseite, die bei allem Negativen doch auch '
' gung liegt der Akzent bei den verschiedenen wieder ihr Positives hat. Vieles läßt sich er- (
Individuen bald auf der einen, bald auf der setzen; das Organisierende und Organisierte J
anderen Seite des Prozesses: bei dem einen wird zumeist fehlen — jene Intellektualität, )
I dominiert das Erlebnis, das er (als Maler) am die bewußt alle Möglichkeiten wertet und \
farbigen Abbild des auslösenden Objektes zu wählt. Dem mit dem Erlebenkönnen stärker )
verfestigen sucht; dem andern wird der Rhyth- verbliebenen Kunstwollen fehlt die Leuchte f
) mus des Werks zum Ausdruck und Ziel — des Intellekts, der Ziele und Probleme bewußt (
) und hier und da klingt einmal beides zusam- ergreift und aus ihrer Kenntnis heraus dem (
) men: das Erlebnis verdichtet sich zu neuer dumpfen Wollen erst die Möglichkeit zum (
/ Form, die gestaltet Freiheit und Gesetz, Natur klaren Ausdruck seiner selbst zu kommen gibt. V
j Geist in eins zusammenschließt. Zwischen diesen beiden Polen vollzieht sich £
[ Aus dieser Auffassung vom Wesen des künst- heute die Entwicklung. Die Mehrzahl der Pro- V

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