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TH. VAN HYSSELBERGHE AM STRAND (1901) 1
| THEO VAN RYSSELBERGHE
Von Albert Dreyfus I
Delacroix sagt einmal in seinem Tagebuch: Gefühl hält sich zumeist in den Schranken
„Die schönsten Kunstwerke sind die, gesellschaftlich bedingter Intimität: nirgends i
i welche die reine Phantasie des Künstlers aus- bei ihm „klopft das Schicksal an die Pforte"; |
1 drücken." Und weiter: Eine Kunst sei un- aber sein Kultus für Licht und Farbe ent- I
zulänglich, -welche, wie die französische, stets springt einem so rassigen Malertemperament, I
das Studium des Modells über den Ausdruck er ist ein so solider Könner, es gelingt ihm I
des Gefühls setzt, das den Maler oder den so sehr zu verwirklichen, was er anstrebt, 1
Bildhauer beherrscht. — Redet hier Delacroix daß er sich wohl einender ehrenvollsten Plätze
in auffälliger Weise den Expressionisten unserer in der zeitgenössischen Malerei gesichert hat. ,
Tage das Wort, so kommt man vor allem auf Die Lebensfreude ist das eigentliche Thema
den Gedanken, Delacroix' Heilbringer kann von Rysselberghes Darstellungen. Aehnlich |
nur ein Künstler mit germanischem Einschlag wie Ludwig von Hofmann liebt er südliche |
sein, einer, der dem romanischen Sinn für Landschaften mit unbekleideten Frauen zu be- I
Form Phantasie und Gefühl zusetzt, wie sie Völkern, um an ihnen das ganze Wohlgefühl I
im deutschen Wesen vorwalten. Van Ryssel- eines Sommertages, einer Meeresbrise zu schil-
berghb, dieser Fläme aus Gent, der in Paris dern. Zum Unterschied aber von Hofmann
durch die Schule des Divisionismus, der ver- ist van Rysselberghes Frauentypus von einer
Standesgemäßesten aller Malweisen ging, der saftigen Körperlichkeit. Verfällt er auch zu- ,
am französischen Mittelmeer eine zweite Hei- weilen dem Hang zu anglisieren, dem Aesthe- |
mat fand, hat etwas von dieser glücklichen tizismus der lässigen Pose, der Grundzug j
Mischung. Zwar kennt seine Phantasie nicht seines Wesens ist flämische Vitalität. Bei i
Momente weltengebärender Ekstase, und sein vielen Bildern hat man das Gefühl, als wären I
Die Kunst für Alle XXIX. 23. 1. September 1914
529
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TH. VAN HYSSELBERGHE AM STRAND (1901) 1
| THEO VAN RYSSELBERGHE
Von Albert Dreyfus I
Delacroix sagt einmal in seinem Tagebuch: Gefühl hält sich zumeist in den Schranken
„Die schönsten Kunstwerke sind die, gesellschaftlich bedingter Intimität: nirgends i
i welche die reine Phantasie des Künstlers aus- bei ihm „klopft das Schicksal an die Pforte"; |
1 drücken." Und weiter: Eine Kunst sei un- aber sein Kultus für Licht und Farbe ent- I
zulänglich, -welche, wie die französische, stets springt einem so rassigen Malertemperament, I
das Studium des Modells über den Ausdruck er ist ein so solider Könner, es gelingt ihm I
des Gefühls setzt, das den Maler oder den so sehr zu verwirklichen, was er anstrebt, 1
Bildhauer beherrscht. — Redet hier Delacroix daß er sich wohl einender ehrenvollsten Plätze
in auffälliger Weise den Expressionisten unserer in der zeitgenössischen Malerei gesichert hat. ,
Tage das Wort, so kommt man vor allem auf Die Lebensfreude ist das eigentliche Thema
den Gedanken, Delacroix' Heilbringer kann von Rysselberghes Darstellungen. Aehnlich |
nur ein Künstler mit germanischem Einschlag wie Ludwig von Hofmann liebt er südliche |
sein, einer, der dem romanischen Sinn für Landschaften mit unbekleideten Frauen zu be- I
Form Phantasie und Gefühl zusetzt, wie sie Völkern, um an ihnen das ganze Wohlgefühl I
im deutschen Wesen vorwalten. Van Ryssel- eines Sommertages, einer Meeresbrise zu schil-
berghb, dieser Fläme aus Gent, der in Paris dern. Zum Unterschied aber von Hofmann
durch die Schule des Divisionismus, der ver- ist van Rysselberghes Frauentypus von einer
Standesgemäßesten aller Malweisen ging, der saftigen Körperlichkeit. Verfällt er auch zu- ,
am französischen Mittelmeer eine zweite Hei- weilen dem Hang zu anglisieren, dem Aesthe- |
mat fand, hat etwas von dieser glücklichen tizismus der lässigen Pose, der Grundzug j
Mischung. Zwar kennt seine Phantasie nicht seines Wesens ist flämische Vitalität. Bei i
Momente weltengebärender Ekstase, und sein vielen Bildern hat man das Gefühl, als wären I
Die Kunst für Alle XXIX. 23. 1. September 1914
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