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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 30.1914-1915

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Gedanken des Rembrandtdeutschen: [Rezension]
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GEORG BROEL

AM BACH (RADIERUNG)

Kunst gegenüber so ungemein hoch entwickelte
provinziale Charakter der Rembrandtschen
Malerei noch in einem ganz anderen Sinne
von entscheidendster Wichtigkeit. Das edle
Gefühl der Stammeseigentümlichkeit ist den
Deutschen, über ihrer politischen Zerfetzung,
vielfach abhanden gekommen; sie nennen sich
Württemberger aber nicht Schwaben, Hanno-
veraner aber nicht Niederdeutsche; damit ist
ein Stück Volksseele verloren gegangen, das
wiedererobert werden muß. Und vor allem ist
dies auf künstlerischem Gebiet erforderlich.
Wer die Gesetzmäßigkeit der altgriechischen
Lokalalphabete kennt, welche gewisse Buch-
stabenformen streng und konsequent, und ohne
Wissen der Handhabenden auf einzelne kleine
Landbezirke oder Inseln beschränkt; wer die
harmonische und man möchte sagen musikali-
sche Folgerichtigkeit der Grimmschen Laut-
gesetze auf sich wirken ließ; wer erfuhr, wie
selbst heute noch sprachliche Verschieden-
heiten und Eigentümlichkeiten z. B. des Platt-
deutschen von geübten Ohren zuweilen bis
auf die von dem Sprechenden bewohnte Qua-
dratmeile unterschieden werden; der weiß auch,

wie tief, wie durchdringend, wie allbeherrschend
in der Natur, selbst da, wo sie sich mit der
Kultur berührt, das individualistische Prinzip
ausgeprägt ist. Diesen Schattierungen der
Natur hat die Kunst zu folgen. —

* *


Holbeins Pietä in Basel und Rembrandts
Anatomie im Haag zeigen, daß für eine wirklich
geistige Kunst der Begriff des Häßlichen nicht
existiert. Ein Weib — und ein Kunstwerk —
darf in dem Grade häßlich sein, wie es innere
Anmut hat. An dieser letzteren fehlt es den
heutigen Naturalisten und darum haben sie
kein Recht, das Häßliche darzustellen. Wie
das höchste Ziel der Malerei weder Zeichnung
noch Farbe ist, sondern vielmehr: mit der
Farbe zu zeichnen; so ist die höchste Auf-
gabe aller bildenden, ja aller Kunst über-
haupt: mit der Schärfe des äußeren Blicks
eine reiche Phantasie zu verbinden. Jene
neueren künstlerischen Bestrebungen, der Ge-
müts- wie Phantasiemaler, sind vorwiegend
von peripherer Natur geblieben; sie entbehren
noch der Beziehung zu einem lebendigen Zen-

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