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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 34.1918-1919

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Pauli, Gustav: Die Kunst der Gegenwart und das Publikum
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https://doi.org/10.11588/diglit.13748#0044

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FRITZ BOEHLE MÄNNERKOPF (ZEICHNUNG)

DIE KUNST DER GEGENWART UND DAS PUBLIKUM*)

Neben allem Guten, das eine Ausstellung
neuer Kunst uns gewähren mag, be-
schert sie uns unweigerlich auch als leidige Zu-
gabe eine Erneuerung des alten Zwiespaltes
zwischen dem Künstler und dem Publikum.
Dieser Zwiespalt ist allerdings sehr alt und kei-
neswegs, wie man wohl gemeint hat, eine
Eigentümlichkeit unseres Volkes, erwachsen aus
den nationalen Untugenden der Besserwisserei
und Eigenbrödelei. Vielmehr möchten wir ihn
zu den gottgewollten Dingen rechnen, da wir
ihn überall wiederfinden, — auch in der Vor-
zeit, wenn genauere Kunde uns über das Auf-
treten eines bedeutenden Künstlers und seine
Wirkung auf die Zeitgenossen belehrt. Und
doch erscheint es uns als ungereimt, daß die
Menschen eine Gabe schöpfungsmächtiger Liebe
— denn das ist das Kunstwerk —, die ihnen
dargeboten wird, um sie zu erfreuen, wie eine
Beleidigung entrüstet abwehren. Wie soll man

*) Wir entnehmen diese Ausführungen mit freundlicher
Genehmigung des Verfassers dem Katalog der diesjährigen Aus-
stellung der Berliner Freien Secession.

es sich vollends erklären, daß dasselbe Publi-
kum, das im Konzertsaal eine schwer verständ-
liche neue Musik stundenlang geduldig über
sich ergehen läßt, sich auf der Kunstausstel-
lung in lautem Protest gefällt, da es doch die
mißliebigen Bilder augenblicklich verschwinden
lassen kann, indem es ihnen den Rücken kehrt?
— Vielleicht liegt es daran, daß unser Publi-
kum musikalisch gebildet genug ist, um im
eigenen Urteil Vorsicht zu üben, während je-
dermann, der eine Droschke vom Laternen-
pfahl zu unterscheiden vermag, mit den erfor-
derlichen Maßstäben für die Beurteilung bil-
dender Kunst geboren zu sein meint. Solche
Maßstäbe glaubt er in dem vergleichenden Hin-
weis auf die Natur und auf den allgemeinen
Geschmack zu besitzen, ohne es auch nur zu
ahnen, wie schwankend diese Stützen sind, und
ohne zu bemerken, daß eine neue Kunstrichtung
schon durch ihre Existenz die behauptete All-
gemeingültigkeit des Geschmackes widerlegt. So
verhüllt sich in der naiven Theorie die Eigen-
liebe, die sich durch die Zumutung verletzt

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