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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 34.1918-1919

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Wolf, Georg Jacob: Kunst und Revolution: Glossen zu einem aktuellen Thema
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https://doi.org/10.11588/diglit.13748#0234

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B Kunstbibliothek
Staatliche Museen

Kunstbeamtentums, der Kunstgewerbeförde-
rung, der industriellen Qualitätsarbeit unter
Hinzutritt der Kunst usw. haben heute ein an-
deres Gesicht, als sie noch vor einem Viertel-
jahr hatten. Angesichts der neuen Tatsachen
erhob und erhebt die Künstlerschaft ihre Po-
stulate. In Künstlerräten oder Arbeitsräten
für Kunst schloß man sich zusammen. Über
Klüfte hinweg reichte man sich die Hände.
Man wurde sich dessen bewußt, daß es ohne
eine gewisse Sozialisierung im wörtlichsten
Sinn nicht weitergehe. Programme und Flug-
schriften wurden ausgearbeitet, Sitzungen und
Versammlungen gab es, so daß fast zu befürch-
ten war, über all dem Debattieren und Reden
der Künstler müsse zuletzt die schöpferische
Arbeit, die Kunst selbst, zu kurz kommen.
Indessen waren diese Auseinandersetzungen
unbedingt nötig. Grundlinien für den künfti-
gen Wiederaufbau des Kunstbetriebs mußten
gefunden werden. Den heute Herrschenden
mußte die soziale Bedeutung der Kunst im
Staatsleben so nachdrücklich eingehämmert
werden, daß jene, die morgen die Herrschaft in
Händen haben werden, mit der Erkenntnis
ihrer Vorgänger als mit einer gegebenen Tat-
sache rechnen werden.
Bei diesem diskussionenreichen Streben nach
Klarheit schieden sich die Geister in zwei große
Gruppen; schieden sich, obwohl sie äußerlich eins
blieben; mußten sich scheiden, weil ihrem Ge-
gensatz das urewige Gesetz von Vergehen und
Werden, von Macht und Wille zur Macht zu-
grundeliegt. Alsbald wurden auf der einen
Seite Mächte der Beharrung, auf der anderen
Mächte der Bewegung wahrnehmbar. Die
Mächte der Beharrung sind die beati possiden-
tes, vor allem aber die Erstarrten, denen die
Schwungkraft fehlt, Leute, die die staatliche
Revolution vorbehaltlos parieren wollten und
ihr einen Schild vorhielten. Es lag nahe, daß
die Gruppe in erster Linie wirtschaftliche Fra-
gen aufwarf, deren Berechtigung in dieser Zeit
niemand bestreiten kann. Hat doch der gegen-
wärtige bayerische Ministerpräsident unum-
wunden erklärt, die Lage der Kunst sei der-
art, daß die Künstler gut daran täten, sich
praktischer, d. h. handwerklicher Tätigkeit zu-
zuwenden und nur, wenn der heilige Geist sie
überkomme, ihrer Kunst zu dienen. In der
Tat ist die wirtschaftliche Lage des Reiches
und der Einzelstaaten, der Gemeinwesen und
der Privaten heute so verworren oder wohl
gar schon so verzweifelt, daß die Kunst, wenn
sie als Luxusgegenstand betrachtet wird, wie
es die jüngste finanzielle Gesetzgebung be-
liebte, nicht damit rechnen kann, daß für sie
künftighin namhafte Mittel zur Verfügung

stehen werden. Aus solchen Erwägungen wol-
len die Mächte des Beharrens alle Institu-
tionen des Kunstbetriebs erhalten wissen, die
der Künstlerschaft wirtschaftliche Garantien
geben: Übernahme des Ausstellungswesens auf
den Staat, Beibehaltung der Staatsankäufe und
Staatsaufträge, Fortdauer des Kunstbeamten-
tums und der besoldeten Lehrtätigkeit an Aka-
demien und Kunstschulen, Schaffung einer
staatlichen Unterstützungsanstalt für Künst-
ler u. ä.
Gewiß trifft und deckt sich eine Reihe dieser
Forderungen mit denen der „Kräfte der Bewe-
gung“. Aber bei diesen gehen die Forderungen
nicht nur weiter, sondern sie kommen auch
aus einem anderen Geist. Bei ihnen ist nicht
der krampfhafte Wille des Erhaltens, nicht die
Bürde der Tradition wahrnehmbar, vielmehr
der frische Geist des Neu-Gestalten-Wollens,
der Reformation an Haupt und Gliedern.
Sie wollen ganze Arbeit tun. Und das nicht
etwa nur theoretisch, sondern indem sie die
frische, werbende, nützliche Kraft der jungen
Kunst und der aktiven Künstlerschaft dem
Staat zur Verfügung stellen.
Was zunächst die Stellung der Kunst zum
neuen Staate anlangt, so hat das Verhältnis
beider gelegentlich einer Versammlung des
Münchner Künstlerrats Richard Riemerschmid
feinsinnig umschrieben. Er verlangt Freiheit,
Autonomie der Kunst in einem freien Vater-
land, das sich seine eigenen Gesetze schreibt.
Er will, daß die Künstler nicht weiter bevor-
mundet werden, sondern ihre Geschäfte selbst
betreiben können. Er will vermieden wissen,
daß an die Stelle des Dilettantismus der Für-
sten der Dilettantismus der Arbeiter- und Voll-
zugsräte und der Volksminister trete. Aber
diese Freiheitsforderung der Kunst, meinte Rie-
merschmid, enthebe den neuen Staat nicht seiner
Pflichten gegenüber der Kunst, die dem Staat
als Erzieher, als Verwalter und als Gesetzgeber
erwüchsen. Endlich müsse der Staat erkennen,
daß die Kunst kein Ornament, sondern eine
Lebensnotwendigkeit im staatlichen Betrieb sei.
Nur durch die Mitarbeit der Kunst werde unser
Gewerbe und ein großer Teil unserer Industrie
zu Qualitätsleistungen befähigt, nur dadurch
wieder exportfähig werden. Der Mangel an
Rohstoffen, unter dem Deutschland noch lange
hinaus werde zu leiden haben, vermöge durch
Geschmackskultur einigermaßen wettgemacht
zu werden. Das solle der Staat bedenken, dann
werde er erkennen, in welch hohem Maße ihm
die Träger der Geschmackskultar, die Künstler
vonnöten seien. Die Aufträge des Staates
müßten durch die Künstler selbst geordnet
werden, ein Vergeben nach Launen und Gunst

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