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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 34.1918-1919

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Küppers, Paul Erich: Karl Thylmann
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https://doi.org/10.11588/diglit.13748#0349

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K. THYLMANN ST. MAERGEN. RADIERUNG (1911)

KARL THYLMANN f

Echte Kunst ist eines Liebenden Kunst. Der
solche Kunst treibt, dem erscheint, da er
ein Ding der Welt erlebt, die heimliche Gestalt
des Dinges, die keinem vor ihm erschien, und
auch er sieht sie nicht, sondern er fühlt ihren
Umriß mit seinen Gliedern, und ein Herz
schlägt an seinem Herzen. So lernt er die Herr-
lichkeit der Dinge, daß er sie sage und lobpreise
und die Gestalt den Menschen offenbare.“*) So
ist Karl Thylmann allen Geschöpfen der Erde
zugetan. Der Baum, der verlangend die Arme
zum Himmel reckt, der Stein am Wege, der
Vogel, die wandelnden Wolken in der Luft —
sie alle liebt er mit der keuschen umfassenden
Liebe des Heiligen, der noch im unscheinbar-
sten Ding das Walten des Göttlichen sieht.
Nichts ist ihm toter Stoff, nichts ist ihm fremd.
Er lauscht dem Herzschlag der Natur wie die
Mutter, die sich sorglich über das schlummernde
Kindlein beugt. Seine Kunst ist eines Lieben-
den Kunst. Sie kommt aus dem tiefsten Herzen
und ist ein Zwiesprachhalten mit dem Gött-
lichen. Er fühlt die ganze Welt im eigenen Ich,
in der Versenkung in die eigene Seele: Für ihn
gibt es kein Drinnen und Draußen, kein
Fremd und kein Vertraut; denn ihn beseelt der
unerschütterliche Glaube an die vollkommene
Einheit von Mensch und Welt, der Glaube
an den Geist, der unteilbar und unwandelbar
alle Geschöpfe der Erde und das ganze All er-
hält und trägt.
Wer so im Innern gläubig ist, dem kann die
Kunst nur ernst und heilig sein wie ein Gebet.
Der kann nicht mit dem äußerlichen Reiz der

*) Martin Bube. Ereignisse und Begegnungen. (S. 33.)
Inselverlag, Leipzig 1917.

Sichtbarkeiten sich begnügen, der hascht nicht
nach der flüchtigen Stimmung des Moments,
der schnellen Geste, die im Augenblick ver-
klingt — wer liebt, der wirbt um der Geschöpfe
Wesen, der freit um ihre verborgene Herrlich-
keit.
Karl Thylmanns Zeichnen ist ein Reden mit
den Dingen, ein Sichversenken in ihr Los. Er
gleicht im Wesen dem heiligen Franziskus von
Assisi, der den Vögeln predigte, der die Wald-
tauben zähmte und zu den Fischen sprach. Wie
jener sah er seine Geschwister in jeglicher Krea-
tur. Die Freunde hatten den Künstler erkannt,
als sie ihn „Bruder der Bäume“ nannten. Auf
den Wegen, die einst der liebenswerte Heilige
geschritten, hat Thylmann seine ersten wesent-
lichen Blätter geschaffen.
Die graphischen Arbeiten, die er 1911 auf
seiner Reise durch Italien entstehen ließ, zeigen
noch die Befangenheit und Ängstlichkeit des
Suchenden, aber in der altmeisterlichen Freude
an der Schilderung auch der kleinsten Einzel-
heit, in der reinen Ergriffenheit dieses sorgsa-
men Bemühens, dem alle schnelle und billige
Mache verhaßt, in der Keuschheit seiner Na-
turanschauung grüßte uns der Geistesverwandte
eines Fra Angelico, ein Gottessucher von der
frommen Lieblichkeit Stephan Lochners. Mit
beiden hat er die Demut gemein und die Rein-
heit des Herzens. Beiden ähnelt er in dem
künstlerischen Temperament, das ahnend neue
Wege schaut, ohne doch das Alte rücksichts-
los der neuen Schönheit opfern zu können. Er
gehört nicht zu den berserkerhaften Stürmern,
die mit Explosionen dem Neuen die Wege bah-
nen. Wie der Meister von Köln und der fromme
Frate schafft er in der Stille, unbekümmert um

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