Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 35.1919-1920

DOI Artikel:
Eisler, Max: Wiener Secession
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14153#0395

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
WIENER SECESSION

Neue, hochgestimmte Offenbarungen wird man
nicht mehr erwarten. Seit beinahe fünfzehn
Jahren ist hier der Kurs nicht geradezu rückläufig
geworden, aber er folgt jedem Fortschritt doch
nur mit zögerndem Bedacht. Denn längst schon
hat die Wiener Secession die Waffen aus der Hand
gelegt. Die Vorkämpfer von ehedem sind aus ihrer
Reihe geschieden und was von der alten Garde
noch übrig blieb, hat an Stelle der einmütigen,
alle verpflichtenden Richtung, an Stelle des gemein-
samen Stilverlangens, des streng entschlossenen
Charakters eine Gesinnung eingebürgert, die zwi-
schen Altem und Neuem die freundliche Mitte
hält. Die Wiener Geistigkeit, die nach kühnen
Anfängen so leicht und schnell dem ausgleichen-
den, entkräftenden Geschmacke anheimfällt, ist
auch hier eingezogen und führt — trotz aller
günstigen Zeichen — doch das Wort.

Nicht anders steht es mit dem Expressionis-
mus. Als er noch im ersten, schweren Ringen lag,
als sein Wollen noch unklar, der Erfolg noch un-
gewiß war, also in jenen entscheidenden Tagen,
da er ganze Bekenner brauchte, blieb ihm die
Secession verschlossen. Und auch jetzt ist ihm
ihr Tor noch nicht weit geöffnet. Nur durch aller-
hand Spalten und Ritzen kann er hinein. Aber
sein Vordringen ist doch unaufhaltsam, unverkenn-
bar geworden. Unter seiner Einwirkung wandelt
sich auch hier das Werk der Jugend. Bei Ferdi-
nand Kitt, an seinem Selbstporträt, noch mehr an
dem Gemälde „Pandora" läßt sich diese allmäh-
lich umbildende Kraft der neuen Kunstbewegung
grundsätzlich am besten nachweisen. Letzthin er-
schien er noch als ein deutlicher Abkömmling der
nordischen Primitiven, den der Krieg wohl schon
einigermaßen aus seiner kühlen Fassung gebracht
und in neue, lebensvollere Heftigkeiten versetzt
hatte. Jetzt ist er dem Greco und Matisse nahe
gekommen, hat von der scharfen, trockenen Zei-
chenweise gelassen und versucht sich in einer
frischen, urtümlichen Färbung. Keineswegs ent-
schiedener, aber reiner vorgedrungen in die ver-
haltene Spannung des Ausdruckes erscheint schon
Josef Gaßler, im Bildnis und in der Landschaft,
namentlich aber in jener Stallansicht, die ein zart
bewegtes und ebenso empfundenes Gewebe aus
glasgrünem Lichtschimmer emporhebt. Am kräf-
tigsten, allerdings auch am rüdesten wird dann
die Richtung von den rhythmisierten Kompositio-
nen Leopold Gottliebs aufgenommen. Dabei mag
das für westliche Anregungen besonders empfäng-
liche Temperament des Polen mitspielen. Heute
steht er bei den monumentalen Parteigängern des
Expressionismus, sein Werk einstweilen noch in-
mitten zwischen farbigem Holzschnitt und Fresko.

Aber auch sonst sickert die neue Anschauung
überall durch. Der Kontur wird mit dem Pinsel
genommen, nachdrücklich geführt, die Palette
spürt wieder den ursprünglichen, rohstofflichen
Wirkungen nach, die Fläche wird erregter durch-
messen, gegliedert und bewegt, — die Genremaler
und die Naturschilderer bleiben zurück, man weiß
mit ihnen, etwa mit Carl Müller und seinem braven
„Interieur", selbst innerhalb einer so unschlüs-
sigen Umgebung nichts Rechtes mehr anzufangen.
Aus denselben Gründen vermag man auch zu den
Ornamentalisten ältererRichtung, zu den Schmuck-
haften, kein Verhältnis mehr zu gewinnen. Weder
Leopold Forstner, der doch ein sehr gediegener
Mosaikhandwerker ist, noch M. Liebenwein, der
diesmal mit seinem „Jonasbilde" zu einer reineren

Fassung seiner an grotesken Sprüngen ergötzten
Phantasie kommt, kann uns stärker ansprechen.

Jm Vordergrunde der Gesamtdarbietung stehen
die Landschafter. Selbst die Figurenmaler — wie
etwa der Münchener Julius Hüther in seinem bräun-
lich gefärbten, mit klaren Formen abgesetzten
„Sommerfrieden" — wollen nicht selten durch
Körper landschaftliche Stimmungen hervorrufen.
Sollte in dieser Rückkehr zur Landschaft eine
Flucht vor dem Umgang mit Menschen vorliegen,
den der Krieg in Schmerzen und Schrecken bis
zur Übersättigung aufgedrängt hat? Von diesem
neu erfrischten, gereinigten Gefühl, von dem tiefen,
erquickten Anschluß an die Natur sprechen die
Bilder Anton Velims, der „Frühlingsmorgen", der
„Maientag" und die „Mühle", allesamt keusch,
echt und bewegt. Auch der robustere Klotz-Dür-
renbach hat solche Stunden der entschlossenen
Hingabe. Saftig, fett sind die „Tierstücke" von
Demeter Koko. Franz Otte beherrscht den tonigen
Zusammenhalt der gegliederten Flächen. Von
Hans Tichy gibt es neben vielen tüchtigen Öl-
bildern ein feineres Aquarell aus Brügge. Die
übrigen Landschafter des Hauses, Dr. Alfred Poll,
Richard Harlfinger, Hermann Grom-Rottmayer
und Camillo Brockelmann gehen, ohne aus ihrer
früheren Art herauszufallen, doch schrittweise und
wirksam vorwärts. In E. Frank, der ein durch-
sonntes Waldbild beigesteuert hat, scheint sich
eine ernste, einfache Begabung anzukündigen.

Unter den Stilleben haben die an Cezanne ge-
schulten von Franz Friedrich Wilke den modern-
sten Charakter. Ihnen stehen die von Ernst Eck
geradezu entgegen; denn dieser Maler geht in
seinen tief gestimmten Rosensträußen und vergilbt
getönten Stadtansichten, die sich einem größeren
Formate versagen, dem Alt-Wiener Dufte nach.
Zwischen beiden hält sich, was Alois Hänisch und
Heinrich Krause an geschilderten Blumen und
Porzellan dargeboten haben. Sehr erfreulich sind
Grom-Rottmayers kühl gefärbte Feldblumen und
eine Zimmerecke, die beide eine intimere Wen-
dung seines Kolorits versprechen.

Josef Dobrovsky trennt mit einigen eigenartigen
Studien aus der Kinderstube seinen Weg von dem
des Jugendfreundes Kitt. Ekke Olzberger hat ein
breit gesehenes, satt gemaltes Kinderbildnis ausge-
stellt. Artur Brusenbauch, der zwei frische Land-
schaftsstücke und ein Selbstporträt zeigt, versagt
in den größeren, kalt und stumpf vorgebrachten
Kompositionen, die wohl älteren Datums sind.

Der stattliche Rest gehört der Graphik. Ge-
rade in ihr tritt jener andere Hang zum Abson-
derlichen, zum Spukhaften und Romantischen
aufs nachdrücklichste hervor, der die Stimmung
der Zeit nicht weniger kennzeichnet, wie die Ein-
kehr in die Landschaft. Das Meiste kommt von
dem Prager August Brömse, der daneben einige
kleine Ölbilder primitiver Haltung sehen läßt. In
den technisch verschiedenartigen Blättern bleibt
er skizzenhaft andeutend, aber bekundet darin eine
virtuose Leichtigkeit der Hand, Geschmack, Emp-
findung und Phantasie. Seltsam und spaßig sind
die dünngliederigen, spitz pointierten Schauer-
szenen von Franz Sedlacek, ernsthafter die bunt-
gläsernen Heimlichkeiten der Guaschen Koro
Oteis. Die Entwürfe für eine Hagadah von Wil-
helm Wachtel bemühen sich in zarter Weise um
die Stimmung der religiösen Sphäre. Von Josef
Stoitzner einige klare landschaftliche Holzschnitte.
Von Karl Friedrich Bell eine schöne, warme Litho-
graphie „Waldklausner und Nymphe".

Max Eisler

363
 
Annotationen