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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 37.1921-1922

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Herrmann, Paul: Vom antiken Rokoko
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https://doi.org/10.11588/diglit.14154#0289

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VOM ANTIKEN ROKOKO*)

Es kann den Weg zur Antike nur ebnen, die Lust,
ihn zu beschreiten, anreizen, wenn man ihre
Erscheinungsformen, die Phasen ihrer Entwick-
lung mit den gleichen Wortprägungen wertet, die
für die Epochen einer näherliegenden und klar
erlebten Vergangenheit gemünzt worden sind und
sehr bestimmte Vorstellungen wachrufen. Von
einem antiken „Barock" und „Empire" zu sprechen
haben wir uns schon länger gewöhnt und geben
damit dem rauschendenüberschwang desPergame-
nischen Gigantenfrieses wie der kühlen Eleganz
des Friedensaltars aus der Zeit des ersten römi-
schen Kaisers eine die Eindrücke akzentuierende,
das Verständnis fördernde Einkleidung. Und wie
sich zwischen diese beiden Stilabwändlungen der
neueren Kunst der Trieb des Rokoko einschiebt, so
versucht Klein eine gleiche Abfolge nun auch für
die Antike herauszustellen, eine Zeitspanne einzu-
f angen und zu umreißen, von einem ähnlichen Geiste
angehaucht und durchtränkt, wie er in entsprechen-
der Neuwandlung der Frühkunst des 18. Jahr-
hunderts entsteigt. Der Versuch sollte naheliegen,
wird aber hier zum ersten Male gemacht und mit
Geschick und Geist durchgeführt. Freilich liegen
die Probleme und Tatsachen hier nicht so offen-
kundig und handgreiflich wie im Falle des Barock
und Empire. Es fehlen hochragende und zeitlich
so fest verankerte Monumente wie die beiden oben
genannten Altarbauten, die Verwandtes mit innerer
Adhäsionskraft an sich ziehen und dadurch zu
breit gelagerten Kulturbildern sich ausweiten; es
steht überhaupt nur ein sehr beengtes Beobach-
tungsmaterial zur Verfügung, fast ganz einseitig
beschränkt auf die Plastik, und dort ein großes
Vakuum aufweisend, wo der rocher de bronce jedes

*) Vom antiken Rokoko von Wilhelm Klein. Wien ig2i.
Ed. Holzel & Co.

Kultur Schaffens, die Architektur, stehen müßte:
wie könnte man auch vom Rokoko des 18. Jahr-
hunderts ein Eindrucksbild zu zeichnen wagen,
ohne in dessen Mittelpunkt die Schöpfungen der
Baukunst zu stellen? Aber immerhin: es zeigt sich
in gewissen Erscheinungen der hellenistischen Pla-
stik eine bestimmte geistige Disposition, die einer
sensiblen Einfühlung, wie sie Klein zu betätigen
weiß, als wesensverwandt mit dem erscheinen
kann, was zur Schäferspiel-Kunst unserer näheren
Vergangenheit führte. Die besondere Struktur des
dionysischen Elementes und seine formalen Bin-
dungen, die Behandlung des Themas „Weib" und
„Kind" zeigen mit besonderer Deutlichkeit, wohin
der Weg geht. Und auch das ist zuzugeben, daß
sich diese Erscheinungen ungefähr zeitlich fixieren
lassen — vom zweiten Viertel des 2. bis zum dritten
Viertel des 1. Jahrhunderts v. Chr. nach Klein — also
eben die Stelle ausfüllen zwischen dem kleinasiati-
schen Barock und dem augusteischen Empire. In
seiner Entdeckerfreude ist freilich der Verfasser
bei den Zuschreibungen nicht selten zu weit ge-
gangen und namentlich nach unten, zum Empire
hin, ist die Grenze recht schwankend gezogen, eine
zwischengeschobene, an den Namen des Pasiteles
geknüpfte naturalistische Periode erregt sogar sehr
ernste Bedenken. Über Einzelheiten, auf die hier
natürlich nicht eingegangen werden kann, würde
also an gar mancher Stelle des Buches zu disku-
tieren sein, aber als Ganzes ist dieses doch ein
Wurf von eigenartigem Reize und erfreulich in
seiner Tendenz wie in seiner Auswirkung: dem
Charakterbild der Antike einen wesentlichen und
bezeichnenden Zug neu eingefügt zu haben. Mag
auch an der von Klein entworfenen Zeichnung
in der Führung der Linien manches zu ändern
sein, als Entwurf und im Grundgedanken ist sie
zutreffend und erschließt ein Neuland der Kunst-
geschichte.

P. Herrmann

J. VON BARY-DOUSSIN SCHÄFER MIT HERDE

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