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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 38.1922-1923

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Grautoff, Otto: Nicolas Poussin
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https://doi.org/10.11588/diglit.14165#0200

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NICOLAS POUSSIN

SCHLAFENDE VENUS VON SATYRN BELAUSCHT

Von 163g an — von früheren Bildern des
Übergangs abgesehen — erfaßte Poussin das
Thema mehr als Einzelgeschehnis. Die Schön-
heit der Gestalten suchte er weiter im Typi-
schen, nicht im Individuellen; jedoch ist der
psychische Ausdruck im Sinn der Bühne indi-
vidualisiert; auf die Verdeutlichung der einzel-
nen Affekte legte er Wert. Die Gestalten sind
weniger in ihrer Beziehung zur Idee, als in
ihren Beziehungen untereinander dargestellt.
Ihre Stellung im Bilde ist weniger eine ideell
repräsentative als eine dramatisch funktionelle.
Die Farbe folgte dieser Entwicklung. Auch sie
dramatisiert, d. h. die einzelnen Lokalfarben
sind statt vereint, gegeneinander abgesetzt. Der
Farbencharakter der Bilder ist koloristisch.

Von 1648 an gehen beide Auffassungen neben-
einander her, wurden aber einem höheren Prin-
zip unterstellt; nicht mehr der stofflichen, nicht
mehr der bühnenbildmäßigen, sondern der sub-
jektiv-optischen Naturillusion. Ihr ordnet sich
die Erzählung ein. Formal ist das neue Prinzip
in dem, durch das Fernbild der Natur beding-
ten, malerischen Zusammenschluß der Farben
unter den gleichen atmosphärischen Bedingun-

gen ausgedrückt und damit mehr ein harmoni-
stischer Farbencharakter erreicht. Das Körper-
ideal wurde durch das statuarische und plasti-
sche Ideal der Antike gegeben.

Das Frühbild, die „Zerstörung von Jerusalem"
in der Wiener Staatsgalerie, erscheint auf den
ersten Blick wie ein durchschnittliches, reich
bewegtes Historienbild des 17. Jahrhunderts.
Tritt man aber näher und faßt einen Aus-
schnitt ins Auge, wie er hier abgebildet ist,
nimmt man eine weiche, lockere Vortragsart
wahr, die erst im ig. Jahrhundert durch Delacroix
und Daumier Allgemeingut der Künstler ge-
worden ist. Durch wen gelangten die französi-
schen Romantiker zu einem Bildstil in Flecken
und Lichtern, zu einem Bildstil des bewegten
Scheins, in dem das Licht die Formen flackernd
erhellt und transparent durchleuchtet? Durch
Rembrandt. Auch Poussin erscheint in einem
solchen Bildteil Rembrandt wahlverwandt, über
die Bedingtheiten seiner Rasse hinausgewach-
sen. Darum setzt gerade vor solchen Bildern
die Bewunderung aller Nichtfranzosen ein. Die
meisten Werke seiner frührömischen Zeit sind
Zeugnisse einer freien, schwärmenden Persön-

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