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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 39.1923-1924

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Fischer, Eugen Kurt: Stil
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https://doi.org/10.11588/diglit.14151#0090

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STIL

Es ist viel Zeit vergeudet worden mit Rätsel-
raten : wie wird der kommende Stil in der
Kunst aussehen und werden wir überhaupt noch
einmal die Kraft und Konzentration finden,
einen wirklichen Stil zu schaffen? Alle Antwor-
ten, die man sich geben konnte, waren unzurei-
chend und mußten es auch sein, denn ein Stil
kann sich nur bilden, er kann nicht geschaffen
werden auf Grund irgendwelcher Überlegungen
oder Vereinbarungen wie eine Manier. Auch die
künstlerische Praxis hat dies bald genug erfah-
ren, nachdem sie auf drei verschiedenen Wegen
bewußte Stilbildung vergebens angestrebt hatte:
auf dem der Übernahme älterer Stilarten nach
individueller, durch die Persönlichkeit des Künst-
lers bestimmter Wahl, auf dem Wege des „Stili-
sierens" von außen her und auf dem einer äu-
ßersten Vereinfachung, wie sie Tessenow früh
in der Architektur schon gab und wie sie die
Leute vom Weimarer Bauhaus auf allen Gebie-
ten der freien und der angewandten Kunst ver-
suchen. Alle drei Wege sind Sackgassen: der
erste führt zur Entpersönlichung, falls über-
haupt Persönlichkeiten darauf verfallen, ihn zu
begehen, der zweite verläuft völlig außerhalb
der Kunst und beruht auf dem gröbsten Miß-
verständnis, der dritte geht vielleicht von einer
künstlerischen Konzeption aus, die sich aber
während der Gestaltung zur reinen Technizität
vergedanklicht. Dennoch scheint der dritte Weg
der selbständigste, konsequenteste und ehr-
lichste. Wir nähern uns ganz fraglos dem Hirn-
primat, der Cerebralkulmination, wie Adrien
Turel die absolute Herrschaft des Intellekts ge-
nannt hat, und damit scheidet für alle auf dieser
Lebensstilstufe Basierten das Sentiment aus,
und was bleibt, ist die Formel, das Gerippe der
Dinge für das bloße Talent, das Urphänomen
für den zum Schauen Geborenen, aber zur Schau
nur mehr Fähigen.

Ist also das der kommende, der allein noch
mögliche, vielleicht der schlechthinig „letzte"
Stil, was im Bauhaus geschaffen wird? Dann
kommt wohl auch die Stunde, da er sich durch-
setzt, Gemeingut aller Schaffenden wird?
Schwerlich. Ich möchte die Frage, ob wir in
absehbarer Zeit noch einmal so etwas wie einen
Gemeinschaftsstil bekommen, verneinen und
zwar deshalb, weil alle aus der Geschichte der
Kunst und aus den soziologischen Erfahrungen
zu entnehmenden Grundlagen dafür fehlen, vorab
die einem ganzen Volke oder wenigstens einer

tragfähigen Schicht desselben gemeinsame Le-
bensstilstufe. Das gab es wohl in Ägypten, in
Griechenland, im christlichen Mittelalter, da be-
stand eine innere Übereinstimmung, ein Gleich-
klang der Seelen, freiwillige Konvention aus
freier Übereinkunft, nicht äußerem Zwang, ver-
wandte Rhythmisierung des Lebens und der
Lebensalter, Gemeinsamkeit eines festgefügten
Weltbildes und Gottesbegriffs. Man war „in
Form" und solange fähig, gemeinsam in Form
zu bleiben, bis das Optimum überschritten war
und das Gefäß zersprang. Heute spiegelt der
kleinste Ausstellungsraum die Vielzahl mög-
licher Einstellungen zur Erlebniswelt des Auges.
Wie beispielsweise das deutsche Volk in lächer-
lich viele Parteien, Gesinnungs-, Glaubens- und
Unglaubensschichten zerfällt, wie jeder nur er-
denkliche Grad von Geistigkeit, jede Lebensstil-
stufe ihre Vertreter und ihr Fähnlein hat, das
zeigt sich auch in der Kunst. Gewiß war alles
schon da im Wandel der Kunstgeschichte und
alle Arten der Darstellung, vom formelhaften
Umrißbild des Höhlenmenschen bis zur At-
mosphäre und Stimmungskunst der Impressioni-
sten, waren durchweg einmal der einzig mög-
liche Ausdruck einer Zeit und einer Stufe der
menschlichen Biogenese. Heute aber bedient
sich die Menge der Wurzellosen, teils dumpfem
Trieb, teils klarer Überlegung, teils einer bloßen
Laune folgend, der verschiedensten Darstel-
lungsweisen, die alle aus dem Wurzelboden an-
derer Zeiten und vielfach auch anderer Völker
erwachsen sind. Gewiß, es kann nicht anders
sein, Inhalt und Formen sind aufgebraucht und
das Neue ist immer nur leise Abwandlung des
Alten, gewaltsame Verrenkung eines sinnvoll
Gebändigten oder aber — und das ist der glück-
lichste, der einzig diskutable Fall — Ausdruck
der Persönlichkeit des Künstlers mit den sou-
verän gehandhabten Mitteln einer ihm artver-
wandten Kunst. Ganz aus Eigenem schafft
heute so wenig einer wie je und die weitgehende
Verbundenheit des Künstlers mit Vor- und Um-
welt, die Goethe erstmals und wiederholt klar
ausgesprochen hat, das biogenetische Grundge-
setz im Geistigen vorahner.d, wird sich nie leug-
nen lassen. Dennoch ist es dem wirklichen
Künstler, der nie, auch nicht zur Zeit des Hirn-
primats, ausstirbt, heute wie je möglich, Stil zu
gewinnen, nur wird es kein Volksstil, sondern
ein Persönlichkeitsstil sein, der Stil eines „sen-
timentalischen", nicht mehr eines naiven Schöp-

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