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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 39.1923-1924

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Nasse, Hermann: Münchner Ausstellungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14151#0095

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MÜNCHNER AUSSTELLUNGEN

Eine große Anzahl von Gemälden und Aquarel-
len, die Hermann Ebers in dem großen Saale
der Galerie Paulus ausstellt, führt den Betrachter
an den Starnberger See, in das Hochgebirge bei
Ammerwald und Linderhof, in die Alpen des Zil-
lertales in der Umgebung der Berliner Hütte, an
den Ostseestrand bei Hiddensee und nach Dal-
matien. Der begabte Künstler versteht es, mit
den Mitteln des pleinairistischen Impressionismus
in zugänglicher und anschaulicher Weise von der
besonderen charakteristischen Art des jeweiligen
Landschaftsvorbildes ein temperamentvolles und
farbig interessantes Abbild zu geben. Gerade die
Wahl von ganz schlichten einfachen Motiven, wie
die „Achmündung von Seeshaupt" oder des Moo-
res daselbst, spricht für den Ernst des künstle-
rischen Gestaltungswillens. In solchen Bildern,
wie auch im „Regentag an der Ostsee", in den
Strandbildern von Hiddensee, steckt männliche
Kraft, die sich zu episch getragener, ja sogar fast
dramatischer Naturstimmung verdichtet. In den
Regionen des ewigen Schnees, in den Tälern der
Hochalpen bleibt es bei zu monotoner Verallge-
meinerung, vermissen wir ein wenig die stoffliche
Anschaulichkeit, fühlt man sich etwas bedrängt
und bedrückt. Am glücklichsten erweist sich der
Maler in den wirklich schlechthin befreienden,
jubelnden, lichtdurchtränkten Bildern der Küsten
des Adriatischen Meeres. Hier ist alles leicht und
flüssig geworden, alles beschwingt und lebendig.
Man spürt, wie der Künstler den sonnigen Hauch
des Südens erlebt hat, wie er gewachsen ist an
der Größe, an dem wohligen Rhythmus dieser
südlichen Formen, dieser südlichen Vegetation.
Das ist die brennende Erde des Südens, dessen
funkelnde Adria, dessen beglückende wärmende
Sonne, dessen jubelndes Licht. Ebers ist die
Adria, sind Ragusa und Cattaro Erlebnis ge-
worden.

In der Kunsthandlung Caspari interessieren
farbige Radierungen und Schabkunstblätter von
A. Schleicher wegen der ganz erstaunlichen sub-
tilen Leichtigkeit und Zartheit der Technik, die
die Reize der Nadel beinahe raffiniert auszudeu-
ten weiß und den seidigen flimmernden Hauch des
Farbenspiels so delikat verwendet, daß einem un-
willkürlich die virtuose Kunst der Japaner auf
die Lippen kommt. Diese schwimmenden phan-
tastischen Gebilde, die augenblicklich aus dem
der Wirklichkeit entnommenen Vorbild in Mär-
chenferne, ins Immaterielle führen, die in Linie
und Farbe musikalisch symbolische Rhythmen su-
chen, wirken wie Ornament, wie jene künstle-
rischen Randeinfälle, die die Phantasie des Au-
genblicks gebiert. Lyrisch und romantisch emp-
findsam zugleich, auf wenige, sehr helle oder
monochrom braune Farbstufen sich beschränkend,
sind sie nur im intimsten Rahmen genießbar, nicht
aber an den Wänden einer Ausstellung und ent-
behren vielleicht doch zu sehr der Dauer verhei-
ßenden Kraft und Festigkeit.

Die im gleichen Räume ausgestellten Gemälde
Max Liebermanns, denen sich eine große Zeich-
nung eines Reitknechts mit Pferden am Strande,
Studie zu einem klein ausgeführten Gemälde, ge-
sellt, sagen im großen und ganzen nichts Neues
über den führenden norddeutschen Klassiker des
Impressionismus aus. Wie immer verblüfft der
energische Wurf, die Sicherheit der Technik und
die kühle Reserve und Objektivität. Unerhört
flott hingemalt, duftig und hell im Sonnenlicht ist

besonders der „Wannseegarten" mit seinen fun-
kelnden Farben der Blumen und das Gartenbild
mit Enkelin und Bonne, äußerst treffsicher und
momentan das Selbstbildnis. Überrascht steht
man vor dem „Konzert im Berliner Opernhaus",
das, 1922 gemalt, in Farbe und Form an den ganz
frühen Liebermann erinnert. Alle anderen Arbei-
ten sind aus dem letzten Jahr.

Daneben begegnen wir bei Caspari zwei be-
sonderen Köstlichkeiten, einem prächtigen Pferde-
bild von Alfred Dedreux und einer „Kriegs-
szene" von Eugenio Lucas (s. Abb. S. 88 u. 89).
Der mit subtilster Sorgfalt prachtvoll durch-
modellierte Schimmel, den ein Bereiter in vol-
ler Bewegung vorführt, steht leuchtend gegen
das Blau-Grün der Landschaft. Echt bezeichnet
und 1841 datiert ist das Bild ein charakteristisches
Werk von Alfred Dedreux (De-Dreux). Dieser
bei uns mehr durch zahlreiche Nachstiche, selten
durch Originale bekannte Meister ist 1810 in
Paris geboren, wurde Schüler L. Cogniets und
flüchtete 1830 nach der Julirevolution nach Lon-
don. Bilder von ihm, Hunde, Pferde, Jagdstücke
und dgl. befinden sich in den französischen Mu-
seen, einige in Leipzig und in deutschem Privat-
besitz. Der Onkel unseres Malers, P. J. Dedreux,
war ein Kollege und Freund Gericaults. Und
etwas von Gericaults spontaner Darstellungskraft
besitzt auch unser Bild. Im Landschaftlichen
scheint Constable von Einfluß. Die glänzenden
hellen Farben des Vordergrunds, die dunkleren des
dekorativen Hintergrunds sind sorgsamst vertrie-
ben. Aber es ist keine Rede von Glätte und Ge-
lecktheit. Unerhört sicher sind alle organischen
Formen erfaßt, ist die Rasse dieses edlen Renners
getroffen.

Die „Kriegsszene", wahrscheinlich ein Gemetzel
aus den griechischen Freiheitskriegen, von Eu-
genio Lucas ist völlig anderen Geistes. Hier teilt
sich uns eine künstlerische Ausdrucksweise mit,
die beinahe modern impressionistisch, zum min-
desten aber impressionistisch wie Delacroix' Far-
benskizzen anspricht. Hier kommt ein sehr tem-
peramentvoller und schmissiger Maler zu Wort, der
sich an Goya entflammte, in der Regel auch als ein
talentvoller Nachahmer Goyas und Velasquez' er-
scheint, in unserem Falle jedoch entschieden mehr
noch von der dramatisch bewegten Form und
dem Furioso Delacroix' besitzt. Man kennt von
dem, in Madrid 1824 geborenen, Maler Stier-
kämpfe, Porträts, eine „Maja", Volksszenen u. a.,
die mehr oder weniger von seinen genannten Vor-
bildern inspiriert sind, oft auch fast täuschende
Kopien darstellen. Aber an einer gewissen Vor-
liebe für grelle Farben, besonders für fahles Rot,
ist Lucas erkennbar und in der Auflösung von
Form und Farbe geht er weit über Goya hinaus.
Es gibt ähnliche Gemälde, deren Stoffe dem Un-
abhängigkeitskriege entnommen sind, andere, die
phantastische Visionen bringen. Gerade solche,
wie das abgebildete, besitzen eine durchaus be-
sondere, persönliche Note. In hastig und flott
hingestrichener Ausführung, prickelnd und leben-
dig, weiß Lucas den heißen Atem wild erregter,
wild verknäulter, kämpfender Menschenhaufen
uns spüren zu lassen. Wie aufpeitschende Blitze
zucken die roten, rotbräunlichen Farbflecke aus
dem in dunklen Massen zusammengeballten Hin-
tergrund. In zügiger Weise ist das Abbild größ-
ter augenblicklicher Bewegung und Erregung auf
die Leinwand gezaubert. Nervös und geistvoll zu-
gleich ist die Art dieses genialen spanischen Fa
Presto des 19. Jahrhunderts. N.

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