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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 39.1923-1924

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Grautoff, Otto: Théodore Géricault: zum 100. Todestag
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https://doi.org/10.11588/diglit.14151#0140

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THEODORE GeRICAULT

PFERDEKOPF

im kausalen Zusammenhang mit seiner Zeit ge-
sehen werden muß, daß der Eklektizismus der
letzten Napoleonsjahre und der Klassizismus,
dessen Basis er war, Gericaults eigenen Stil
mitbestimmt haben. Das „Medusenfloß" wurde,
wie Bürger-Thore erklärt hat, „eines der besten
Gemälde des 19. Jahrhunderts" durch Gericaults
heißes Temperament, durch sein ursprüng-
liches, freies und reiches Menschentum, durch
sein außerordentliches Können. Das hat Lud-
wig XVIII. besser als die reaktionäre Beamten-
schaft seiner Restaurationsregierung erkannt,
die aus Furcht, ihre Stellung zu verlieren, vor
dem „Medusenfloß" (Abb. S. 133) in Angstschweiß
geriet; bei der Preisverteilung überreichte ihm
der König die Medaille mit den Worten: „Mein
lieber Gericault, Sie haben da einen Schiffbruch
gemacht, der für Sie keiner sein wird."

In diesem Ausspruch liegt eine Anerkennung
der Kraft des Künstlers, der Kraft seines Welt-

gefühls, wie auch der Kraft seiner Ausdrucks-
form. Will man durchaus das Medusenfloß als
Symbol nehmen, so kann man über Thema und
parteiliche Interpretation hinaus in dem Bild eine
Allegorie der Lebensenergie erblicken, in der
trotzige Hoffnungsanspannung und zäher Wil-
lensschwung über die Düsterkeit des Schicksals
triumphieren. In diesem Sinne verwandelt sich
die Untergangsszene in eine Auferstehung. Die
lebensstarken Gestalten türmen sich in siegender
Schönheit in die Höhe, während die Verzwei-
felten, die Mutlosen, die im Schicksalskampf
Unterlegenen zurücksinken und von den Wellen
fortgespült werden. Schon thematisch erweckt
das Gemälde die vielfältigsten Empfindungen.
Es setzt die ganze Skala menschlicher Gefühle
in Bewegung. Weil es in die Tiefen unserer
Affekte lotet und in die Höhen unserer Vor-
stellungen führt, ist sein Reichtum nicht aus-
zuschöpfen. Will man das Werk rein verstan-

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