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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 39.1923-1924

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Baum, Julius: Ulmer Griffelkunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.14151#0163

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JOSEF NICKLAS

HEIMKEHR VON DER WEIDE

ULMER GRIFFELKUNST

In Ulm, dem alten Kunstmittelpunkte Schwa-
bens, regt sich frisches Leben. Vier Maler,
Scheller, Nicklas, Vollmar und Zeller, haben
sich zusammengeschlossen, deutsche Zeichnung
zu pflegen. Kupferplatte und Nadel sind ihr
Handwerkszeug.

Dem Deutschen ist nicht die schöne Form,
sondern der Ausdruck letztes Ziel der Kunst,
nicht die Darstellung ausgeglichener Bildung
des Leibes, sondern das innere Leben der Seele,
nicht Zustand, sondern Bewegung, nicht Ein-
heit der Zeit und des Raumes, sondern Viel-
heit und Unfaßbarkeit, nicht verstandesmäßige
Gesetzlichkeit, sondern Gefühlserlebnis*). Von
der Völkerwanderungszeit bis zur Gegenwart
lag die Kraft der deutschen Kunst immer im
Ausdruck der Linie und Farbe, nicht in der
Abgewogenheit von Verhältnissen oder im Reiz
des Sinnlichen. Wer mag einen deutschen

*) Vgl. hierzu die vortreffliche Schrift von Richard Müller-
Freienfels, Psychologie des deutschen Menschen. München,
C. H. Beck, 1922.

Künstler schelten, weil seine Zeichnung mehr
dem Striche Altdorfers gleicht als der Art des
Toulouse-Lautrec, weil er mehr auf die Stimme
des Blutes hört als auf die Lockungen der
Zeit. Hat nicht auch Gogh, einer der größten
Künstler deutschen Stammes, sich in seinen
Schöpfungen der schlechthin deutschen Mittel
bedient, obgleich ihn sein halbes Leben lang
welscher Sensualismns umschmeichelte? Darum
sei im voraus dem Einwände begegnet, die
Blätter, die im folgenden gezeigt werden, seien
nicht ernsthafte Kunst, sondern altertümelnde
Spielerei. Gewiß, man spürt in ihnen nichts
vom nervenzerrüttenden Leben des heutigen
Alltags; sie scheinen aus einer schöneren Welt
zu kommen. Und wahrlich ist ihr Reich kaum
berührt von den Kämpfen der Gegenwart: das
Vorgebirg mit seinen jähen Felshintergründen
und duftenden Matten, das Alpenvorland mit
seinen Wäldern und Quellen, Herden und Hüt-
ten ; seine Tannen und Bäche werden noch wie
heute rauschen, wenn unsere Spur längst ver-

Die Kunst für Alle. XXXIX.

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