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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 39.1923-1924

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Creutz, Max: Die neuen Monumentalbilder Thorn-Prikkers im Krefelder Kaiser-Wilhelm-Museum
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https://doi.org/10.11588/diglit.14151#0195

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DIE NEUEN MONUMENTALBILDER THORN-PRIKKERS
IM KREFELDER KAISER-WILHELM-MUSEUM

Thorn-Prikker, der Meister der Glasfenster
der Neußer Dreikönigenkirche, entwickelt
sich immer mehr zu unserem größten Monu-
mentalmaler. Nach seiner Berufung an die Düs-
seldorfer Akademie lag es nahe, dem Künstler
zum ersten Male große Wandflächen zur Ver-
fügung zu stellen. Die Stadt Krefeld, wohin
der Künstler schon vor achtzehn Jahren aus
Holland zu einem Lehramt an die Kunstge-
werbeschule berufen wurde, gab ihm vor kur-
zem den Auftrag, vier große Wände eines
Saales im Kaiser-Wilhelm-Museum mit Dar-
stellungen der Lebensalter des Menschen aus-
zumalen, um damit gleichzeitig ihre Dankes-
schuld für die überaus wirksame Lehrtätigkeit
Thorn-Prikkers abzustatten. Das Museum be-
sitzt nunmehr in den Wandmalereien seines
Marmorsaales Werke, die der Künstler in der
Reifezeit seines Lebens bis in alle Einzelheiten
selbst ausführte.

Die Zeichnung erfolgte mit Kohle unmittel-
bar auf die Wand, ohne Kartons und Vor-
zeichnungen. Nur in photographischen Auf-
nahmen erhalten, zeigen sie im einzelnen große
Feinheiten von unmittelbar intuitiver Wirkung,
die später verloren gingen. Aber es mußte das
Bestreben des Künstlers sein, dem Ganzen zu-
liebe jede noch so gelungene Einzelheit zu
größter Klarheit der Farbe in der Strenge des
Liniaments zu steigern. Für die Bemalung wur-
den Erdfarben mit Kaseinbindung verwandt.

Ursprünglich sollte in den vier Feldern des
Marmorsaales die „Lebensalter des Menschen"
vor dem Hintergrunde der einzelnen Jahres-
zeiten zur Darstellung kommen. Dieses Thema
wurde vom Künstler nicht buchstäblich inne-
gehalten. Jugend-, Jünglings- und Mannesalter
kamen zur Darstellung. Ein eigentliches Grei-
senalter jedoch will der Künstler nicht aner-
kennen. Das Alter ist für ihn die Stufe neuer
Jugend, der Übergang zu einem anderen geisti-
gen Leben, zu einem Fortleben nach dem Tode,
eine Wandlung zu höheren Wandlungen. Der
Zyklus wird daher besser das „Leben" genannt.
Ein Werden und Vergehen, ein Emporblühen
und Welken in den beiden großen Türfeldern.
Hier baut sich hinter der Jugend, am Quell
des Lebens, ein Felsenplateau mit stark empor-
strebendem Liniament auf, umrahmt von der
älteren Generation, den Eltern, Lehrern und
Weisen, die die Ankunft des neuen Menschen
begrüßen, über seine Zukunft nachdenken und
disputieren. Auf der anderen Seite „Welken

und Vergehen", angedeutet durch Friedhof-
mauern und Gräber, Gestalten von Auferstan-
denen, deren Körperlichkeit noch mit der Erde
verbunden ist, jedoch in der geistigen Struktur,
der Askese des Körperlichen, in eine andere Welt
hineinragt. Kämpfende Eulen, Symbole der Weis-
heit, deuten den Kampf über die große Schick-
salsfrage „Jenseits des Grabes" an. Zwischen
Friedhofmauern ragen Tannen auf, schwarz,
grau und morsch, von Sturm und Wetter zer-
zaust, mit spärlichem Grün, eine Verschmel-
zung von Leben und Tod.

Dahinter steigt die Welt des Ewigen visionär
in seltsamem Lichte hell und dunkel auf. Wäh-
rend diese beiden Felder eine starke Mystik
atmen, sind die beiden anderen Felder zwischen
den Marmorsäulen dem blühenden Leben ge-
widmet. Jüngling und Jungfrau in farbiger
Blütenlandschaft des Frühlings. Das Leben ein
Spiel. Der Jüngling mit dem Ball zwischen
springenden Hunden, ein Bild frohbewegten
Lebens. Im zweiten Felde Sommer und Herbst
in der Reife des Lebens, ein Menschenpaar
in fruchtbarer Landschaft. Die Landschaft ist
auf beiden Bildern voller Symbolik. Der Blüten-
baum, der mit vielen Wurzeln Halt sucht in
der mütterlichen Erde, gleicht dem Jüngling,
während auf der anderen Seite Apfelbaum und
Erntefeld mit der Darstellung wieder in Ver-
bindung stehen. So ragen die Werke in eine
überpersönliche allgemein menschliche Sphäre
hinein. Wie eine Vision tauchen die Gestalten
aus dem Strom der Menschheit auf ohne indi-
viduelle Charakterisierung, schemenhaft indurch-
aus geistiger Prägung, umflutet von hellem
Lichte, kristallklar wie die Luft der Berge.
Von eindrucksvoller Gewalt ist der einheitliche
Zug des Ganzen, ein Werden und Emporwach-
sen, dann eine ebenmäßige Geschlossenheit in
der lebendigen Existenz und harmonischen
Durchbildung schöner Körper, schließlich ein
Welken und Zusammenbrechen.

Wichtig für die Zusammenfassung der ein-
zelnen Felder innerhalb des Raumes ist die
Aufteilung der Wände durch ein lineares System,
dessen Maße sich aus dem Gesamtraum an den
Wänden ergaben. Je zwei Wände wurden bis
zur Mitte des Saales zusammengefaßt und die
einzelnen Felder durch die Zwei- und Dreitei-
lung in einem Liniennetz aufgeteilt. So ent-
standen Schnittpunkte, die für die Hauptblick-
punkte der einzelnen Bilder wichtig sind und
in jedem Einzelbilde besonders hervorgehoben

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