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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 39.1923-1924

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Bryk, Felix: Leander Engström
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https://doi.org/10.11588/diglit.14151#0205

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LEANDER ENGSTRÖM

Unter Jungschwedens Malerphalanx der letz-
ten Jahre der Vorkriegszeit ist Leander
Engström unbedingt der hervorragendste. Vor
allem männlich, kräftig, originell, ist er eine
Persönlichkeit, die um eine Kopflänge das Maß
ihrer Umgebung überschreitet und ohne Zwei-
fel internationale Anerkennung verdient. Da
gibt es kein krankhaftes Kokettieren mit einem
mehr oder weniger ausgesprochenen femininen
Dandytum, das andere auszeichnet, kein in-
halts- und charakterloses Nachpinseln oder so-
gar Travestieren von Pariser Modedirektiven,
auch kein naivistisches Pendeln zwischen den
grandiosen Visionen eines Irren wie Josephson
und den ideoplastischen Leistungen der Kinder-
kunst. Per Leander Engström (geb. 1886) aus
Norrland ist durch und durch ein urwüchsiges
Kind seiner granitenen Scholle, mit der er völlig
zusammenwächst, was selbst in etwas so Un-
nationalem, wie es das Formelle der modernen
Malerei ist, zu Bilde kommt. Gesehen, gesucht,
gelernt hat er bei Allen, das Produkt, der In-
halt jedoch verbleibt rein nordschwedisch, selbst
wenn es vorübergehend in italienischen Motiven
sich objektiviert: immer ist es dieselbe heitere,
aber dennoch ernste, kräftige, bisweilen frivole
farbenfreudige hochnordische Natur, die in
seinen Werken glüht.

Engström hat uns als erster Lapplands klare
Herrlichkeit erschlossen! Dazu haben ihn
seine eingangs zusammengefaßten malerischen
Eigenschaften wie prädistiniert. Das ist nicht
mehr jenes pygmäenhafte Lappland, das wir
aus den ungeschickten Holzschnitten des
17. und 18. (erste Drittel) Jahrhunderts (bei
Schaeffer, Outhier, Linnaeus) oder den spä-
teren Kupferstichen der englischen, italienischen
Künstler (z. B. Acerbi) kennen, auch nicht
das sentimental idyllische, literarische Schwär-
men für die Gleichberechtigung der Lappen,
wie es in der Literatur in Anders Jämte
„Ljusnedals Jakko", in der Malerei in den ge-
stellten Genrebildern eines Johan Tiren Aus-
druck findet. Hier wird zum ersten Mal wie
in einem Hohenliede die subarktische Natur mit
der ganzen Renntierkultur des einzigen über-
lebenden europäischen Tertiärmenschen monu-
mental in Form und Farbe erfaßt, so innig
wie ein Segantini, mit dem Engström sonst

keine Berührungspunkte zeigt, die Alpenluft vor-
zuzaubern verstand. Zur Zeit, wo man von den
Kongonegern, paläolithischen Mammutjägern
und Südseeinsulanern sich die Augen verdrehen
läßt, lag auch für Engström die Versuchung
nahe, sich von der primitiven, in Renntier-
knochen geritzten eskimoiden Lappenkunst be-
einflussen zu lassen, oder was ärger, etwa durch
einen rein ethnographischen Anstrich, in eine
trockene unmalerische Lappologie zu verfallen;
aber gegen beide Gefahren erwies sich Eng-
ströms sonst für äußere Einflüsse empfind-
liches Malerauge immun und- stark.

Das ganz wundervolle, soeben entstandene
Konterfei des Lappenhäuptlings John Turi —
übrigens das einzige mir bekannte Porträt von
Engströms Hand—sei als Stützemeiner Behaup-
tung angeführt. Wäre der Künstler ein
Vollblutanthropologe, seiner Darstellungskunst
könnte die Halbkugel des mit zartem grauem
Flaum bestandenen kahlen Schädels nicht ent-
gangen sein. Aber die rote, wie eine Ananas
gekerbte Quaste der tiefblauen Lappenmütze
hätte er, der Maler, in diesem Falle geopfert
haben müssen: und dies paßte koloristisch wie
kompositionell als Krönung des tiefblauen mit
einem Blick ins Violette ziehenden Dreiecks, das
der alltägliche Lappenrock mit den sich breit
machenden, an den Tisch lehnenden Ellenbogen
bildet, besser als ein noch so typischer Bra-
chyzephalenschädel. Auch die sich schlängelnde
schwefelgelbe Rockumsäumung, hinter der sich
das bordeauxrote Halstuch versteckt, schmeckt
so wenig nach Kostümkunde wie die rein male-
risch als Embleme aufgefaßten, auf der hell-
blauenWand hängenden drei lappländischen Aus-
rüstungszeuge (Messer, Flasche, Tabakbeutel),
nach Ethnographika. Freilich hätte das als Hin-
tergrund gewählte hochnordische Landschafts-
bild weniger sachlich behandelt werden können:
es wirkt dadurch zu veristisch, wo es doch hier
eher geboten gewesen wäre, sich mehr im Rah-
men des Zweidimensionalen zu halten. Dieses
sonst gar nicht störende Detail vergißt man
leicht, wenn man das Zentrale: Turis Persön-
lichkeit, gesehen durch das Temperament seines
Freundes, auf sich wirken läßt, die klugen,
ernsten graublauen Augen des siebzigjährigen
Greises, die das „Muittalus samid birra" er-

Die Kunst für Alle. XXXIX. April 1924

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