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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 39.1923-1924

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Weinberger, Otto: Wolf Huber
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https://doi.org/10.11588/diglit.14151#0224

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WOLF HUBER

MONDSEE MIT SCHAFBERG (FEDERZEICHNUNG)

WOLF HUBER

Die sichere Ruhe, mit der das Genie seine
vorgezeichnete Bahn verfolgt, täuscht den
späten Betrachter über die Gefährlichkeit und
unerhörte Neuheit des beschrittenen Wegs. Wir
machen uns heute nur schwer eine Vorstellung
davon, welcher Sturm um 1500 die Geister er-
griff, als der Mensch sich herauszulösen begann
aus Ordnungen und Satzungen, die ihn bisher
behütet, aber auch gefesselt hatten. An die Stelle
des festgeprägten, aus starren Eigenschaften zu-
sammengesetzten Charakters tritt die lebendige,
aus einheitlichem Kern sich entwickelnde Per-
sönlichkeit. Bei Dürer vollzieht sich dieser Über-
gang nach kurzer, aber gewaltiger Gärung in
den Jahren der Apokalypse kaum merkbar, weil
der Drang, Menschen, nicht übersinnliche Ord-
nungen zu gestalten, von allem Anbeginn in ihm
rege ist. Aber Dürer erschöpft nicht entfernt
die Möglichkeiten neuer Ziele. Unter Kämpfen,
zögernd, auf den verschiedensten Wegen und
Umwegen folgen die Zeitgenossen. Wie wetter-
leuchtet es um die Menschen Baidungs, wie
recken sich und quellen ihre Formen; wie kurz
ist aber auch für ihn die Periode ausgeglichener
Harmonie, wie bald flüchtet er sich zu einem Stil
verzichtender, weltferner Beruhigung! Wieder
ein anderes Schauspiel an der Donau: man
erfaßt dort das recht eigentlich „humanistische"
Thema der Persönlichkeit nicht mit dem groß-

artigen Ernst Dürers oder dem ungestümen
rheinischen Temperament Baidungs; an den
Ufern des breit dahinfließenden Stroms lebt ein
behaglich genießender Menschenschlag, der
pathetischen Gemütsbewegungen gern aus dem
Wege geht. Hier, in Regensburg, kann sich, da
die neue Zeit alte Dämme niederreißt, die fried-
liche, beschaulich lebensfreudige Persönlichkeit
Altdorf ers entfalten. Auf verschlungenen Pfaden
nähert er sich dem großen Gedanken der Epoche:
fehlt seinen Menschen das aufrührerisch Trotzige
Baidungs, der Dürersche Stolz des Renaissance-
individuums, sind sie nur ungenügende Gefäße
für seine Lebenslust und Ichbejahung, so er-
gießt sich der volle Strom des Persönlichkeits-
gefühls in die Umgebung des Menschen, in die
Landschaft. Die Landschaft spiegelt getreulich
menschliche Stimmungen, mehr noch: Altdorf er
macht Ernst mit jener Naturbeseelung, die lange
vor Francis Bacon und Giordano Bruno von dem
Deutschen Nicolaus von Cues zu einem Glau-
benssatz der Renaissance erhoben worden war.
Altdorfers nordischer Humor sieht in jedem
knorrigen Baum, in den eigenwüchsigen, barocken
Felsengebilden des Donautales verwandte Wesen.
In dieser phantastischen Welt bewegen sich nicht
minder absonderliche, naturnahe Menschen,
Waldschrate, durch phantastische Beleuchtung
noch inniger mit der Landschaft verwoben. Aus

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