Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 40.1924-1925

DOI Artikel:
Neumann, Carl: Graf Leopold von Kalckreuth: zum 70. Geburtstag des Malers am 15. Mai 1925
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14152#0319

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Die Augenkultur mag Fremde beglücken: wir
suchen bei unseren Künstlern immer noch etwas
anderes.

Li Kalchreuths Bildern und Radierungen lebt
die Seele und das Schicksal des deutschen Bauern
in landschaftlicher Besonderheit. In Schlesien
hat er sie erlebt, ehe er in das Lüneburger
Heideland zog. In Schlesien hielten ihn ver-
wandtschaftliche Bande dem Haus der Yorks
nahe. Nichtnurdie Herrenhäuser der Güter,auch
die Bevölkerung und die Scholle bedeuten ihm
eingeatmete und gestaltete Heimatluft. Ich liebe
ein kleines Bild dieses Kreises besonders. Als
der Schwiegervater Witwer wurde, pflegte der
Maler durch Monate des öfteren abends auf das
ein paar Stunden entfernte Gut zu fahren, um
dem einsamen Herrn Skatgenosse zu sein. Man
sieht den mit zwei Pferden bespannten Viktoria-
wagen in die dunkelnde Schneelandschaft hinein-
tauchen. Die Wagenlaterne wirft ein glühendes
Licht in das blauende Weiß. Die schnelle Be-
wegung des Wagens wird ertäuscht, indem die
schnaubenden Pferde übermäßig klein und fast
verschwindend gegeben sind. Im Grund des Wa-
gens sitzt, vom Rücken gesehen, der Maler selber
im Wintermantel, breitschulterig; die Hünen-
gestalt auch ohne das Gesicht von größter Ähn-
lichkeit. Die Stimmung dieser wie in das Un-
endliche hineinfahrenden Equipage ist von der
besondersten, mit W orten nicht ausdrückbaren
Art.

Einmal fand der Präsident des Künstlerbundes
auch in der großen Diplomatie Verwendung.
Es war 1912, als die Hundertjahrfeier der Kon-
vention vonTauroggenkam, durch die der Gene-
ral Graf York von Wartenburg, seinen Kopf aufs
Spiel setzend, sich und sein preußisches Korps
von Napoleon löste und den Russen zuführte.
Die preußische Regierung ließ das von einem

Berliner „Träteur" gelieferte Festessen in einem
Sonderzug nach Tauroggen bringen. Für die
Yorks repräsentierte Graf Kalckreuth, für die
Russen General Rennenkampf, der spätere Füh-
rer gegen Ostpreußen igi4. Die Begegnung
von 1912 war bloß korrekt, bereits eiskalt; so
berichtete nachher der Graf. Die große Welt-
bühne fesselte den Maler nicht In seinem um-
fassenden Bildniswerk sind wohl auch einzelne
Figuren wie die berühmten Zeitgenossen Len-
bachs, der in Kalkreuths Schülerjahren eine
Weile Berater und Förderer dieses so ganz und
gar unähnlichen Jüngers gewesen war. Da sind also
die Bildnisse von Lichtwark und Erich Mareks,
vom Grafen York, Alexander Sclmütgen, Prä-
sident Havenstem und Albrecht Hänel. Kalck-
reu th war aber für die „ vornehme " Welt z u herb
und aufrichtig. Es lag darin etwas dem Genius
des Velazquez Verwandtes, der ";ihn ja auch zu
einer seiner umfangreichsten Leistungen, der
großen Infantin (in der Sammlung Flersheim
in Frankfurt) inspiriert hat Merkwürdig, wie
das Herz und die Malerei dieses Aristokraten
mit der wahrhaft erdrückenden Wucht riesen-
großer körperlicher Erscheinung den Mühseli-
gen und Beladenen und dem unbelasteten Wesen
der Kinder zugewandt war. Zu den bleibenden
Zeugnissen semer Kunst werden doch die alten
Bauernfrauen gehören, deren Runzeln und ge-
krümmle Rücken ein Schicksal künden, und die
harmlosen Kleinen, die von der Milchtasse ins
Ferne sehen oder die noch ungeschickten Hände
mit einer Handarbeit mühen. Der Siebzigjäh-
rige mag sich eines Stückes Dauerwirkung seiner
Werke getrösten; denn ihm war gegönnt, in dem
Ständischen das Menschliche zu gestalten, und
auch im Unfigürlichen den Herzschlag der Dinge
zu erspüren.

Prof. Carl Neumann-Heidelberg

288
 
Annotationen