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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 40.1924-1925

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Werner, Bruno E.: Lovis Corinth
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https://doi.org/10.11588/diglit.14152#0418

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derts, nur Weg und Anregung zum eigenenSchaf-
fen sein konnte. In Paris wird er Mitglied der
Akademie Julian, wo sein Lehrer Bougereau an
diesem schweren, ungefügen, rundschädligen
Deutschen Gefallen findet. 1887 kehrt er zurück
und lebt von 1890—1900 in München. Es ist die
Blütezeit des Münchner Kunstlebens und bis
1910 kann man auf Corinths Bildern den grauen
verhüllendenTon finden, der damals dort herrsch-
te. Seit 1900 lebt er in Berlin, in dieser ebenso
angespannt fleißigen wie derb genießerischen
Stadt.

Es gibt eine große Beihe Bilder Corinths, die uns
heute fern stehen. Es sind seine christlichen und
mythologischen Darstellungen. Man vermißt alles
darin, was man sonst an dem Maler liebt. Sie sind
kompositorisch nicht geschlossen, sie sind male-
risch reizloser, atmen zuweilen Atelierluft und
haben alle eine Spur von Maskerade. Die Uber-
fülle von Gesichten, die sich in diesen Bildern
entladen, kennzeichnen die reiche Persönlich-
keit Corinths. Es ist jedoch seine spezifisch
deutsche Eigenschaft, daß dem aus der Uber-
fülle stammenden Chaos die Bändigung fehlt,
die man im oberflächlichen Sinne als ,,guten
Geschmack'", im tieferen Sinne als Gestaltung
bezeichnet.

Dadurch, daß man sich gewöhnt hat, in Corinth
eine gewisse einfache und brutale Sinnlichkeit
zu sehen, — die zwar seine markanteste aber kei-
neswegs seine einzige Seite ist, und die allein nie
genügt hätte, ihn dazu zu machen, was er ist, —
vergißt man oft, wie tiefgründig innerlich, wie
sensibel und wissend letzthin seine Kunst ist.
Zeugnisse hierfür sind seine Porträts. Das des
armen, kindlich träumenden Dichters Peter Hille,
das des Kritikers Alfred Kerr mit dem, der Pose
gegenüber, ironischen Unterton und das vorzüg-
liche des Dichters Graf Keyserlingk, das zu den
besten Bildnissen gehört, die wir in Deutschland
hervorgebracht haben. Dieses bekannte Bild der
bayerischen Staatsgalerie zeigt den Dichter, erfüllt
von jener witternd nervösen Empfindsamkeit,
müde und zugleich ahnungsvoll und bis ins letzte
Glied überzüchtet. Den Maler aber zeigt es als
einen, der um die menschliche Seele weiß und
hinter der bunten Oberfläche den Kern sieht.

Erst mit der Zeit wandte sich Corinth der un-
beseelten Naturzu. Innenräume, Schlächterläden
entstanden, später Stilleben, bewegte und farbige
Blumenbüschel und schließlich im letzten Jahr-
zehnt Landschaften. Hier und in den Porträts
liegen die stärksten Leistungen des Malers. Hier
kommt ihm auch die europäische Geltung zu,
die man seiner barocken Art sonst meist versagen
muß. Es sind die Landschaften vom fnntal, vom
Walchensee. Die Uberreife, die der Meister auch
sonst liebt, ist auch diesem Stoff zugrunde gelegt.
Meist ist es die Mittagsstunde des Hochsommers.
Von allen Seiten zieht das Gewölk sich zusam-
menballend herauf. Die Schwüle hat einer Ge-
wittervorstimmung Platz gemacht. Blaue Schat-
ten fließen von den Bergen herunter. Alles ist
in riesigen Pinselstrichen zusammengepeitscht,
mit einem wilden Beichtum der Farbe, wie
wir ihn in Deutschland kaum wiederfinden. Der
Pinselduktus zeigt eine Wucht, die zuweilen un-
sicher erscheint, der man aber stets eine ebenso
ungewöhnliche wie ungewollte Leichtheit an-
merkt. Das ist der Altersstil des Malers. Lnter
diesen Bildern gibt es einige, die neben den
großen Franzosen bestehen. Ihr deutsches Ge-
sicht zeigt keinen anmutvollen, ruhenden Zu-
stand, wie ihn die Franzosen malten, sondern
unaufhörliche Bewegung, deren wuchtige Dy-
namik ebenso aus der Form wie aus der Farbe
spricht.

Was hebt diesen Maler aus unsrer Zeit heraus
und schafft seine eigentliche Bedeutung? Das ist
seine dionysische kraftstrotzende Persönlichkeit.
Es ist nicht der tänzerische leichte Dionysos der
Mysterien, denn nichts von Anmut, nichts von
geistreicher Verführung, nichts von Mystik lebt
in diesem Maler, sondern das andere Gesicht des
berauschten Gottes, der von Mänaden und Pan-
thern begleitet mit dem Thyrsosstab durch das
Land zog. Es ist die schöpferische Natur, die in
Blut, Geschlechtlichkeit, Bausch und Fruchtbar-
keit ihre tiefere Einheit verkündet. Hier starb
ein Charakter, der den in seinem Buch zur Er-
lernung der Malerei angeführten Schopenhauer-
schenSatz zum Lebensspruch gewählt hatte: ..Der
mit Genie begabte Mensch opfert sich ganz für das
Ganze, eben indem er lebt und schafft."

Bruno E.Werner

Die Kunst für Alle. XXXX.

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