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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 43.1927-1928

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Wolf, Georg Jacob: Ausstellung im Münchner Glaspalast 1928
DOI Artikel:
Bernhart, Josef: Gespräch über Plastik, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.16477#0395
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Tüchtigkeit, diese Elite aus der Münchner Mo-
derne, verstärkt durch Gäste wie Pechstein,
Dreßler, Erich Hecke], Champion genügte
schließlich doch nicht. Genügt nicht, um eine
Ausstellung von der Art zu bewirken, von der
ich eingangs sprach. Man macht sich also auf
die Suche. Nun, Willi Geigers Bildnis eines
südamerikanischenGeneralsmit der ungehemmt
roten Uniform knallt über Säle hinweg. Scharl
ist ein Mann, dessen Kommen man im Auge

behalten muß. Achmann geht mit seinen Land-
schaften neue verheißungsvolle Wege (Abb.
S. 354), Nückels Arbeiten sieht man gerne, und
T.T.Heines „Rosenmedium" hängt weltver-
loren-fremd unter diesen Bildern und spinnt
auf seine Y\ eise die Beziehungen an zum ma-
gischen Realismus — alles gut und schön, aber
es sind „membra disjecta catenae", und heim-
lich sehne ich mich nach der wilden, alten Neuen

Secession Von 1913. Georg Jacob Wolf

GESPRÄCH ÜBER PLASTIK

In einer vornehmen Wohnung im Geschmack von igoo.
Dame des Hauses Offizierswitwe, etwa Fünfzig, von
hoher Kultur. Besuchender Herr, etwa Vierzig, Ge-
lehrter eines geisteswissenschaftlichen Faches.

Dame: Mir will scheinen, Ihr Gesichtsausdruck
habe sich auf der langen Reise verändert.
Herr: Das mag wohl sein, andere sagen's auch.
Vier Monate unterwegs, täglich neue Eindrücke
von Landschaft, Menschen, Kunst, und bei allem
ein seltsamer Zwang, von innen her sich zu ent-
scheiden, ob man das Alte oder das Neue will:
kein Wunder, wenn das heimliche Drama, in
das man sich heute hineingezogen fühlt, auch
nach außen tritt.

D.: Sie, lieber Doktor, auch einer von denen —?
H.: Von den Beunruhigten, meinen Sie? Ja, ich
kann es nicht leugnen. Der Weltgeist hat lange
auf einer Seite gelegen, nun legt er sich wieder
einmal auf die andere.

D.: Also doch nur auf eine von den beiden, die
immer schon die seinigen gewesen. So wird die
Zukunft oder das Neue doch auch nicht wie das
Manna vom Himmel fallen. Ich liebe noch meine
vier Wände, und nichts wird mich daran irre
machen. Das Schicksal scheint mich darin zu
unterstützen. Ich habe der Kinder wegen, die
immer kostspieliger werden, ein paar Moderne
dem Bilderhändler zum Verkauf übergeben. Nun,
nach drei Monaten, kam alles wieder zurück.
Niemand will sie haben. Die Leute geben heut
ihr Geld lieber für Sport aus, für Reisen und
seidene Strümpfe.

H.: Glauben Sie, Gnädige, das allein sei der
Grund für die Entfremdung von der Kunst?
D.: Was sonst? Wir werden so allgemach zu
Barbaren. Nein, ich tue den Barbaren, den Wilden
unrecht. Sie haben Kunst auf ihre Weise. Wir
aber, wir sind wie die Säuglinge, die das Ding

eben nur als pralles Ding sehen und sich an den
Mund führen ... es ist kein Geist, keine Seele
mehr um das Ding, wir haben aus unserm Innern
nichts mehr hinzuzugeben. Auge und Ding
bringen nicht mehr die Zeugung zustande, die
wir Kunst heißen. Uber lauter photographischen
Eindrücken von der Welt ist unser Auge selbst ein
Kodak geworden — exakt, aber kahl registrierend,
unfähig, Adel, Weihe, Legende, Poesie um die
Dinge zu weben.

H.: Ich gebe Ihnen recht. An den Tempeln von
Paestum und Girgenti sah ich hastende Schwärme
vonReisenden. die weiter nichts wollten,als einen
geknipsten Eindruck von dieser klassischen Welt
nach Hause bringen — Erinnerung an etwas,
was sie gar nicht gesehen hatten. Ich bin alt-
modisch genug, Goethes Widerwillen gegen alle
Mittlerschaft optischer Apparate zu verstehen :
ich halte die photographische Sucht für eine Ent-
fremdung von der Welt der Sichtbarkeit, weil
sie das Auge entwöhnt, die Dinge schöpferisch
zu sehen, sich im Schauen lebendig anzueignen,
mit einem Wort in den hochzeitlich innigen
Umgang mit der Natur zu kommen, in dem wir
alle zu Dichtern werden, auch wenn wir nicht
wie der Maler den geheimnisvollen Lebenstausch
zwischen Seele und Ding vollziehen — denken
Sie an den Knaben im Grünen Heinrich, der die
Eiche zeichnet, an den Willen zur Form-Er-
gründung in den Blättern, die Goethe, Stifter,
Mörike u. a. uns hinterlassen haben. Zugegeben!
Ich dulde Sonntags auch keine illustrierten
Zeitungen in meinem Arbeitszimmer. Das ist
die Zeit, wo ich in meinen alten Kupfern blättere,
in Büchern mit Holzschnitten — daran wird
mir's wohl, und ich habe Feiertag an dieser Welt
der Gegenstände, die im Durchgang durch ein
Auge, sagen wir eine Seele, irgendwie zu Adel
gekommen sind. Lachen Sie nicht — ich habe

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