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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 43.1927-1928

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Bernhart, Josef: Gespräch über Plastik, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.16477#0401
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GESPRÄCH ÜBER PLASTIK*

H.: Mag sein, wir sind übersättigt, wir möchten
die ganze Kunst von Jahrhunderten auf den Spei-
cher schaffen, um die Dinge wieder selbst zu
sehen, ohne das Zwischenreden von Auslegern,
Meistern und Schulmeistern. Ich glaube, dann
erst, wenn wir mit einem barbarischen Vergessen
aller Kunst wieder die naive Zwiesprache mit dem
Ding an sich versuchen, kommt es an den Tag,
ob der Weltgeist sich in einem neuen Dialekt
durch uns vernehmen will. Dazu braucht es eine
unbeirrte Sammlung auf die Gebilde der Natur,
auf das Tier, auf die Pflanze, den Stein, das Schnee-
kristall . . . eine Andacht, die in jedem Ding das
Ganze sieht, dieses Ding in seinem Dasein und
Sosein ganz für sich begreift und ehrt, als ein
Zeichen, das allein genug ist, mir das Geheimnis
der Welt zu vergegenwärtigen.
D.: Nun, ich wüßte nicht, woran das besser zu
lernen wäre als an der ganzen großen Tradition
der Natureroberung von den Pompejanern bis
zum Plein-air. Was für eine unendliche Skala
der Sehvveisen hat uns allein die moderne Male-
rei gewonnen . . . eine letzte Intimität des Augen-
scheins, eine Fülle von Qualitäten der Empfin-
dung, die eben den Alten doch verschlossen war.
Oder wollen Sie wieder verschütten, was Jahr-
hunderte aufgedeckt haben? Seien wir doch froh,
daß uns in diesem jämmerlichen Dasein wenig-
stens der Trost der Kunst geblieben ist!
H.: Ja, da liegt es. Auf dieses Wort hab ich
längst gewartet — den Seufzer des 19. Jahrhun-
derts. — Wollen wir weitersprechen? Ohne Hoff-
nung, daß wir uns je verstehen werden?
D.: Um so lieber, Doktor, je weiter wir ausei-
nander sind. „Das Heil vom Gegner" — das ist
auch ein schöner Grundsatz.

H.: Ihr armen modernen Seelen! Ihr wunder-
baren Logiker! die Welt ist nichts wert, wohl
aber die Kunst, die euch die Welt abschreibt, die
nichts wert ist, und liegt sie selbst denn außer
dieser miserablen Welt? Der Pessimismus, der
verzweifelt, ist eine große Sache. Aber wenn er
an dem farbigen Fähnchen der Kunst soweit sich
ermannt, daß er die Verzweiflung immer noch
um eine Mahlzeit vertagen kann, ich bitte, Gnä-
dige, geben Sie ihm selbst den rechten Namen.
Oder denken Sie sich, Sie stehen in einem Prozeß,
den Sie nach Ihrer und allgemeiner Meinung
verlieren werden, und trösten sich an dem künst-
lerisch ausgefertigten Protokoll, versehen mit
reizenden Bildern des Richters, der Anwälte, der
Zeugen, der Gerichtsstube und allem, was Sie an

* Fortsetzung von Seite 560.

den fatalen Hergang erinnern kann. Ich weiß
es wohl, ohne das Gefühl des Menschen, daß er
in falscher Lage ist, kommt weder Religion noch
Kunst zustande: dieses Gefühl macht uns schöp-
ferisch, es treibt uns zur Metamorphose der miß-
lingenden Wirklichkeit in eine gelingende. Aber
hierin eben steckt heimlich und zu tiefst doch
ein Ja zur Welt. Wenigstens in diesem Antrieb
zur Korrektur, zur Verklärung oder bloßen Ab-
bildung des Daseins in jeglicher Kunst meldet
sich ein Drang zur Verewigung der Dinge oder
doch unseres Eindrucks von ihnen, er ist unwider-
stehlich und unaufhörlich und an sich allein
schon ein Argument gegen jenen Pessimismus,
der in der Kunst die Erlösung sucht. Gut! Hat
die Kunst diese Kraft, und kommt sie, wie es
doch in Wahrheit ist, eben auch aus der einen
Wirklichkeit, in der wir leben, meinetwegen aus
ihrer höhern Region, so hat diese Wirklichkeit
ihre Rechtfertigung in sich, und es ist über-
haupt kein Grund zu einem Zerwürfnis mit ihr.
Fragt sich nur: ist je ein Mensch in solchem
Zerwürfnis von der Kunst in Wahrheit erlöst
worden ?

D.: Nun zielen Sie mir nach dem Herzen.

H.: Ja, doch auch nicht mehr. Ich spanne nur

den Bogen der Frage.

D.: Ich zittere nicht. Mich decken ein paar tüch-
tige Männer.

H.: Ich kenne sie. Ihre Xamen klangen einmal
lauter, als sie heute klingen: Schopenhauer, Wag-
ner, Burckhardt . . .
D.: Und Nietzsche?

H.: Er ist auf Ihrer und auf meiner Seite. Er sei
ja, sagt er, sich selber genug, um sich zu wider-
legen. Aber indem Sie ihn nennen, sprechen Sie
aus, was uns trennt. Denn Ihre Liebe für die
moderne Malerei, also das meiste seit Rembrandt,
ist doch wohl auf die einfache Glaubensformel
zubringen: Alles fließt — ewiges Werden. Also:
die Welt hat keinen Boden. Alles ist Phantom,
unser Phantom, interessant, aufregend interessant,
flüchtig schön und wesenlos wie der Regen-
bogen — also laßt uns malen, daß doch im
Bilde sei, was kein Urbild hat . . . Glauben Sie,
das sei auch die Wellanschauung der Baffael,
Dürer, Michelangelo gewesen oder gar der altmo-
dischen Leute, die ihre Sachen auf Goldgrund
setzten ?

D.: Gewiß nicht. Modern ist keiner von allen,
aber die drei Meister der Renaissance haben doch
in die Weite und Tiefe gesehen, die Welt als
Ganzes ist ihnen aufgeblättert, während die Dinge
auf dem Goldgrund dem Zusammenhang der

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