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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 44.1928-1929

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Mayer, Alfred: Carl Zerbe
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Schürer, Oskar: Das Moderne und das Modische
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https://doi.org/10.11588/diglit.14159#0122

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schmale Kost behagt ihm nicht, und er entfaltet
eine sehr dilFerenzierle Fülle von Tönen, die
zu den linear und flächig gehaltenen Straßen-
veduten der Vorzeit wesentlich kontrastieren.
Zerbe ist nicht mehr offensichtlich konstruktiv,
er ist zu einer Selbstverständlichkeit der Ge-
staltung gelangt, wie es das farbig abgebildete
Aquarell einer „Oberbayrischen Dorfland-
schaft" sehr reizend zeigt. Der suggestive Aus-
schnitt erinnert an intime deutsche Landschaf-

ter des 19. Jahrhunderts, an die kristallische
Klarheit eines Haider etwa, und an die gläubige
Diktion eines Henri Rousseau. Ein geheimer
Reiz umwittert das Bildchen, ein, wie treffend
gesagt wurde, „magischer Realismus", ein irra-
tionales Etwas, das die feine Spürnase Uhdes
vorgeahnt haben könnte. Man darf erwarten,
daß sich die weitere Entwicklung und Neigung
des jungen Malers Zerbe in dieser Richtung aus-
wirken und vervollkommnen wird. Alfred May«

DAS MODERNE UND DAS MODISCHE

Alles Moderne hat einen heimtückischen Feind:
das Modische. Heimtückisch wie sonst keiner.
Alle Reaktion stellt sich dem Modernen offen
gegenüber. Und gerade ihr Widerspruch treibt
das sinnvoll Moderne hinauf auf ihre Gipfel,
zwingt es zur äußersten Kraft entfallung. Aber
das Modische ist ein Gift, das zwischen den
Falten des Modernen aufkeimt, das plötzlich
aufgärt und mächtig wird, mächtig durch die
betäubenden Gerüche, die es ausstreut. In den
Kunstbewegungen ist dieser Prozeß oft sehr
deutlich ausgeprägt: sobald eine moderne Kunst-
bewegung modisch wird, ist sie verloren. Wir
haben noch alle in Erinnerung, wie ein snobi-
stisches Kunstgewerbe den Expressionismus und
den Kubismus ausbeutete — und ad absurdum
führte. Das Modische ist wie der Welkgeruch
einer Blüte — manchmal noch betäubend
üppig und verlockend, aber eben doch schon
Tod anzeigend und vernichtend. Wäre es nur
an dem, daß das Modische Vollstreckerin eher-
ner Lebens- und Sterbensgeselze sei. Wäre es
nur so, daß jede moderne Bewegung am Schluß
ihrer Wirkungskraft dem Modischen verfällt
und von ihr ins Zeitengrab gerissen wird. Es
wäre notwendiges Schicksal. Das Modische wäre
dann eben ein pomphafter Leichenzug, den man
vielleicht geschmackvoller wünschen könnte,
der nun aber doch mal begangen werden muß.
Man würde ihn traurigen oder frohen Blickes
vorüberziehen lassen. Das ist aber nicht das
Wesen des Modischen. Das ist gefährlicher.
Es wuchert früher auf als erst in Sterbe-
stunden solcher Bewegungen. Sobald eine sol-
che ein gewisses Maß von Kraft und Geltung
erkämpft hat, ist das Modische auch schon da,

zwängt sich in alle Ritzen des breiten Lebens
umher und gibt sich den Anschein, das Neue,
das „Bessere", jedenfalls das Zeitgemäße zu
verbreiten und zu befestigen in den Gemütern
der Nachzügler. Und es wuchert aus, es ver-
krampft sich in die Auswüchse, in die versuchs-
weise aufgenommenen Gesten, in die begonne-
nen aber noch nicht zu Ende durchgeführten
Experimente des Modernen. In der Musik und
in der Architektur ist es zur Zeit am augen-
fälligsten. Erschreckend ist es zu sehen, was
für Unfug das Modische da anstellt mit den
ernst gemeinten Versuchen der Vorkämpfer.
Gefährlich ist es nicht nur für die Allgemein-
heit, die so getäuscht, um das wirklich Moderne
betrogen wird. Gefährlich ist es aber vor allem
für das Moderne selbst. Gefährlich nach zwei
Seiten hin. Einmal kompromittiert es das Echte
der im Fluß befindlichen Bewegung und lähmt
so dessen Auswirkungsmöglichkeiten. Dann
aber betäubt es die Kämpfer selbst. Es täuscht
Erfolge auf der ganzen Linie vor, wo doch
nur Surrogatschichten über das Alte gebreitet
wurden.

Wahrlich, vor nichts muß der wirklich Moderne
mehr auf der Hut sein als vor dem Modischen.
Und er darf sich durch dessen Auswir-
kungen auch nicht einschüchtern lassen. Er
muß bei dem klar erkannten Ziele bleiben,
muß traurig lächelnd die Oberflächenerfolge
des Modischen, die ja nur Trübungen der
wirklichen Lage sind, wegstreichen aus seinem
Blick. Muß modern bleiben trotz alles Modi-
schen — sei es auch auf die Gefahr hin, von
den Snobisten und Modisten als reaktionär
verschrien zu werden. Dr o. S.

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