MICHEL A NGELO. KEN T A U R E N K A M P F
in Wilhelm Finders letztem Buch ausführlich
untersucht worden. Es gilt aber auch für die
Gegenwart; das Chaos, das ein Besucher der Aus-
stellung von 1500 vorsieh sehen mußte, ist der
gleiche Zwiespalt, wie er auch unsere Kunst zer-
klüftet; aber die Kluft ist noch breiter und tiefer
geworden, weil die soziale Umschichtung und
die Demokratisierung der Lebensformen in noch
stärkerem Maße als damals verschiedene Gene-
rationen gleichberechtigt, einander bekämpfend
und negierend, nebeneinanderstellt. In der ein-
facheren Struktur früherer geschichtlicher Stufen
vollzog sich ein Wandel auf künstlerischem Ge-
biete viel einfacher. Drei Jahre später nach unserer
römischen Ausstellung bestieg Julius II. den päpst-
lichen Thron und führte fast mit einem Schlage
jenes goldene Zeitalter herbei, in dem alle um 1500
vorhandenen Keime die glänzendsten Früchte tru-
gen. In der Lage unserer Gesellschaft ist eine so
plötzliche Wandlung nicht zu erwarten; dennoch
brauchen wir nicht zu verzweifeln und nicht zu
bezweifeln, daß auch heute, was uns chaotische
Verwirrung dünkt, Ausfluß einer naturgesetz-
lichen Notwendigkeit ist. Hans Tietze
328
in Wilhelm Finders letztem Buch ausführlich
untersucht worden. Es gilt aber auch für die
Gegenwart; das Chaos, das ein Besucher der Aus-
stellung von 1500 vorsieh sehen mußte, ist der
gleiche Zwiespalt, wie er auch unsere Kunst zer-
klüftet; aber die Kluft ist noch breiter und tiefer
geworden, weil die soziale Umschichtung und
die Demokratisierung der Lebensformen in noch
stärkerem Maße als damals verschiedene Gene-
rationen gleichberechtigt, einander bekämpfend
und negierend, nebeneinanderstellt. In der ein-
facheren Struktur früherer geschichtlicher Stufen
vollzog sich ein Wandel auf künstlerischem Ge-
biete viel einfacher. Drei Jahre später nach unserer
römischen Ausstellung bestieg Julius II. den päpst-
lichen Thron und führte fast mit einem Schlage
jenes goldene Zeitalter herbei, in dem alle um 1500
vorhandenen Keime die glänzendsten Früchte tru-
gen. In der Lage unserer Gesellschaft ist eine so
plötzliche Wandlung nicht zu erwarten; dennoch
brauchen wir nicht zu verzweifeln und nicht zu
bezweifeln, daß auch heute, was uns chaotische
Verwirrung dünkt, Ausfluß einer naturgesetz-
lichen Notwendigkeit ist. Hans Tietze
328