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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 46.1930-1931

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Jansen, Franz M.: Neben dem Malen
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https://doi.org/10.11588/diglit.16478#0085

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NEBEN DEM MALEN

In einem Aufsatz ..Neuorientierung der Kritik,,
sind diese Sätze: ..Im Anfang steht der Tag mit
seinen religiösen, wirtschaftlichen und eroti-
schen Inhalten. Aus ihnen formt der Schaffende
das Werk, das die Kritik sichtet und wieder der
Zeit übergibt. Die Sichtbarmachung des Künst-
lerisch-Schöpferischen fällt der intellektuellen
Geistigkeit der Kritik zu . . . Alle Kunst aber ist
in gleichem Maße dem Stofflichen wie dem
Irrationalen zugewandt und ruht widerspruchs-
los in sich selbst. Wenn das Gegensätzliche im
Stoff in die Ruhe des Kunstwerks erhoben, wenn
die Materie von ihrer Dialektik befreit ist, dann
ist ihr der Sinn in dem Großen und dem Gan-
zen gegeben."

Diese Sätze umschreiben gut den Standpunkt
der heutigen Kritik; dem Maler zeigt seine Arbeit
das alles wesentlich anders. Für ihn besteht kein
Gegensätzliches im Stoff, nicht die theorethische
Feindschaft zwischen Irrationalem und Materie.
Dialektikfrei und zwiespaltlos wartet die Materie
auf den Moment, daß der Maler sein Ich mit
einem der W unschträume über sich hinaus, den
Utopien und magischen Einsichten da und dort
in einem Stück von ihr und untrennbar davon
verkörpert sehe. Nur dies überwältigende Er-
lebnis: die überraschende V erkörperung des
Irrationalen mit irgendeinem Ding, — Land-
schaft, Hand, Gesicht, Tier, Mensch mit einem
Farbklang, der Pracht einer Farbe, der vibrie-
renden Gegensätzlichkeit von Linien — zu ei-
nem geheimnisvollen Dritten, nur das ist der
Inhalt jeder Malerei. Unvorstellbar sonst, wird
es vom Maler in einem jedesmal einmaligen
Augenblick festgefügt in Form, in Farbe und
Linie gesehen, greifbar wie ein Glas, das vor
ihm steht und bedeutet für ihn die Aufforderung
zum Malen. Stets ist daher das Bild ein Ding
neben der Natur mit eigenen Gesetzen. W eder
war der Impressionismus Naturabklatsch, noch
ist die Neue Sachlichkeit wirkliche W irklichkeit
(was ihr jede Berechtigung nähme), noch der
Syrrealismus allein das Magische hinter der Ober-
fläche. Nur der Grad der Erlebnisintensität, des
Bereitseins dafür, der Grad der Unmittelbarkeit
der Form erhebt das Bild oder degradiert es zum

Naturabklatsch, zur Platitüde oder Snobbisten-
sache.

Aufgabe des Malers ist also: i. Bereitsein, den
unerwarteten, immer möglichen Moment voll zu
erfassen, die geheimnisvolle Struktur und eigen-
willige Form unabgelenkt zu sehen. 2. diese klar
gesehene Form ebenso unmittelbar auf die Lein-
wand zu bringen. Das bedeutet ständigen Kampf
mit der eigenen stets komplizierten und dikta-
torischen Geistigkeit um die einfache Größe und
eindeutige Klarheit des Erlebten; denn über-
zeugend einfach wird dem Maler das immer ge-
zeigt. Zwiespalt und Dialektik stürzen sich ihm
erst darüber hin, wenn er vor der Leinwand
steht, w enn auf dem langen W eg zur Hand, zur
Niederschrift alle Zeitbedingtheiten: Bedenken,
Skepsis, Thesen, Stilforderungen, Gewohnheit
sich einschleichen und das Spontane, Unabwend-
bare, die Einmaligkeit des Erlebten bedrohen.
Immer unterliegt der Maler in diesem Kampf
mehr oder minder und resigniert, um trotzdem
immer wieder Sturm zu laufen. Aufgabe jeder
neuen Malgeneration ist es so, alte Formen, durch
deren Zeitbedingtheit das Erlebnis ihr nicht mehr
durchschimmern will, wegzuräumen, elementa-
rere, stets heftig befehdete neue Formen zu fin-
den, die die Erregtheit des Erlebten, sein magi-
sches Erhelltsein wieder zeigen. Alle Bilder sind
immer mehr oder minder geglückte, mehr oder
minder gewaltsame Versuche nach diesem Ziel.
L nd hier sind auch die Möglichkeiten zu der stets
vorhandenen soziologischen Funktion der Kunst
— zumal heute. Religion, Apotheose der Natio-
nalen und auch das Soziale sind dafür nicht mehr
das Alleingegebene. Tausend Zeitschriften und
Photos haben in einem früher nicht gekannten
Maße eine Kenntnis von Schicksalen, mensch-
lichen Zusammenbrüchen, \ isionen, Dingen aller
Art überallhin gebracht: sie warten, daß ein
Bereitsein sich mit ihnen verbinde, um dann —
in eine unmittelbare Form gepreßt — tausend
Ichs zu erschüttern. Hier sind die Sensationen,
welche die Kunst zu vergeben hat und die Kritik
fordert, die freilich darunter meist starre Befol-
gung einer explosiven These versteht und immer
wieder Resultate der Maler zu solchen ausbaut.

F. M. Jansen

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