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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 49.1933-1934

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Beringer, Joseph August: Klassizismus einst und jetzt
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https://doi.org/10.11588/diglit.16481#0082

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Ph. O.Runge. Das Nachtigallengebüsch

Klassizismus einst Und jetzt. Von J.A. Beringer

Alles wahrhafte, künstlerische Schaffen geht aus den wachen und Emporkommen des Bürgertums: das

Tiefen des Erlebens, aus der Ganzheit der künstle- alles war ungeeignet, Kunst zu tragen und zu för-

rischen Natur hervor. Künstlerisches Schaffen hat dern. Die Künstler mußten für ihre unter weltge-

ebensoviel mit dem Wollen, wie mit dem Können schichtlichen Vorgängen geschaffene Kunst nach

zu tun. weil jeder wirkliche Künstler sich die einem neuen Abnehmerkreis, nach einer neuen

Sprache, den Ausdruck seines Kunstwillens selber Aufnahmeschicht sich umsehen. Das Bürgertum,

schafft. Der Schaffensweise der mehr oder minder das Volk mit seiner bisher nur passiven Kunstan-

erfolgreich Vorangehenden sich anzuschließen, ist teilnähme wurde zur Beteiligung am neuen Schaffen

epigonenhafte Blutarmut. Schöpferische Naturen, aufgerufen und herangezogen, indem die Künstler -

die nach Neuland suchen, schaffen eine Schulfolge schaft die für diesen Interessenkreis entsprechen -

in der Richtung, die sie angeben. Richtungsnach- den und gemäßen Stoffe für die Bildgestaltung auf-

läufer sind keine Schöpfernaturen. nahm. Szenen aus dem Volksleben und der Natur

Wenn vor mehr als hundert Jahren die französi- wurden jetzt bildfähig.

sehe Revolution und die napoleonischen Kriege jene Die von Winckelmann, Lessing und Goethe im

Kunstform hervorbrachten, die wir Klassizismus 18. Jahrhundert eingeleitete Kunstwissenschaft

nennen, so ist zu erwarten, daß die nationale Er- wurde kunstkritisch und geschichtlich von 1818 an

hebung Deutschlands aus der chaotischen Vielfalt von Rumohr weitergeführt und bereitete den Boden

einer häufig bis ins Bolschewistische abgeirrten zum Kunstverständnis für die humanistischen Bil-

Schaffensweise sich wieder zu einem neuen Klassi- dungskreise. Die Gründung der Kunstvereine (1818

zismus hinfinden muß, der sich abseits vom Allzu- Karlsruhe, 1823 München, 1825 Berlin, 1829 in

individuellen des Schaffens zuletzt wieder auf der Düsseldorf usw.) verbreitete mit den wandernden

Linie der Grundgesetze in der Bildnerei, der Raum- Bildausstellungen durch Anschauung Kunstbildung

und Formbildung, der Harmonie in der Farben- ins Volk. Zugleich trat zu Anfang des 19.Jahrhun-

gebung, der soliden Technik, der Ruhe in der Be- derts das Studium der Natur und des Volkslebens in

wegtheit und der ethischen Haltung wird aufbauen den „Fächlern", den Landschafts- und Sittenmalern

müssen. Nur so können und werden wir kulturell — gegensätzlich zu den „Historienmalern" — als

und künstlerisch wieder zur Ordnung kommen und eine neue Natur- und Lebensauffassung in die Er-

unser Eigenes und Wesentliches zum Ausdruck scheinungundwandelteKunstauffassungundKunst-

bringen. leben von innen heraus um.

Wenn deutsche Künstler, um unbehelligt vom Jede der Gruppen von deutschen Klassizisten bildete
Tageslärm und von den stündlichen Schwankungen ihren Klassizismus in der ihr eigenen, gewisser-
des Innenlebens frei zu bleiben, vor 100 Jahren ins maßen geographisch bedingten Art um: die Münch-
Ausland gingen und sich an die alten Kunststätten ner betonten unter Cornelius mehr das Formale und
nach Italien flüchteten, so geschah es, um im Welt- Lineare, die Dresdener unter C.D.Friedrich das
getümmel einen ruhigen Standort für ihr bewegtes stimmungsreiche Farbige, die Hamburg-Berliner
Seelenleben zu gewinnen. „Daheim'' wankte und mit Runge und Schinkel das Realistische, das
schwankte alles, war alles im Fluß und in der Um- mit der Lichtführung auch das Poetische und Ge-
bildung. Die Bildung der neuen deutschen Staaten. mütvolle zu verbinden wußte. Das Gemeinsame
die Umlagerung in den mäzenatischen (kunst- dieses aus verschiedenen örtlichen und seelischen
förderlichen) Verhältnissen für die Kunst, die Ver- atmosphärischen Bezirken entwickelten Kunst-
armung des mediatisierten Adels und der säkulari- Schaffens lag im einheitlichen deutschen Fühlen,
sierten Geistlichkeit, der Neuaufbau der Staats-, Schauen und Gestalten, das die Kunst dem Volks-
Gemeinde- und Gesellschafts-Ordnung, die Auf- Verständnis näher führte. Der deutsche Klassizis-
hebung der Kloster- und Kirchengüter, das Er- mus war im Grunde naturfromm, pantheistisch,

Kunst f. Alle, Jahrg. 49, Heft 3, Dez. 1988

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