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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 49.1933-1934

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Kroll, Bruno: Eugen Kirchner
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https://doi.org/10.11588/diglit.16481#0152

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Eugen Kirchner. Am Klosterhof. 1923

dem Auge zum Wunder. Zum Wunder, nur weil
sie vom Licht der Welt umfangen wird und von der
Liebe und der tiefen Gläubigkeit einer empfindsamen
deutschen Seele . . . Selten mischt sich in die Land-
schaft eine Staffage: zwei Kühe wiederkäuend, zwei
Bauersfrauen in der festtäglichen Altoberinntaler
Tracht usw., und immer klingen Natur und Tier
und Mensch zu einheitlichem Akkord zusammen.
Das Mittel, das diese Blätter hervorzaubert, ist der
Graphitstift. Er gibt sich bald hart, spitz wie ein
Silberstift, bald einschmeichlerisch weich, sinnlich
wie Kreide. Wie tonige Malereien wirken diese
Zeichnungen und die Spanne vom lyrisch Verträum-
ten zum dramatisch Bewegten ist in der heutigen
Zeit selten in dieser feinen Differenzierung wieder
erreicht worden. Die Verwendung des Gummis
verleiht vielen Blättern den Charakter von Radie-
rungen, von Lithos.

In die Landschaften hängen eingestreut Figuren-
studien, unerbittlich in ihrer Sachlichkeit, ohne jede
Verbiegung ins Humoristische oder Satyrische.
W asserfarbenbilder stehen dazwischen und farbige
Bilderbogen zu Schulfibeln und altdeutschen Mär-
chen. Sollte sich dasneuaufsichbesinnendeDeutsch-
tum nicht dieses feinen heimat- und kinderlieben-
den Illustrators erinnern?

Es geht wieder ein neues Wollen durch unsere
Künstlerschaft, eine neu erwachte Religiosität des
Schauens und Trachtens. Wieder schafft die Jugend
aus einer ähnlichen Naturanbetung heraus und mit
gleichem Bedacht der sinnlichen Mittel. Allerdings
fehlt ihren Mitteln noch die Überlieferung alter
Erfahrung und der Anbetung die Bescheidenheit
und die Inbrunst. Vorläufig steht Kirchner einzig
in seiner Art unter uns als ein Klassiker und er-
strebenswertes Vorbild in den Beiträgen zu den
„Fliegenden" wie in den Landschaften. Und in den
kleinen landschaftlichen Dingen liegt vielleicht doch
des Künstlers eigentliche Größe.
Stempel auf den Passepartouts einiger Blätter be-
zeugen, daß sie ..Staatlicher Besitz" sind. Auch die
Staatliche Sammlung in Dresden besitzt eine große
Auswahl der herrlichsten Zeichnungen und dann
viele Feinschmecker unter den Kunstliebhabern —
besonders aber viele Künstler. Der vornehme und
vorzügliche Landschafter Toni von Stadler besaß
eine Mappe von diesen Kleinodien. Man kann es
verstehen und nur wünschen, die ausgestellten
Blätter fänden alle ihren Liebhaber. Der Künstler
würde schon für Ersatz sorgen — denn trotz seiner
bald siebzig Jahre befindet er sich in ungebrochener
Frische und Arbeitslust.

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