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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 50.1934-1935

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Werner, Bruno E.: Adolf Menzel: zur 30. Wiederkehr seines Todestages am 9. Februar
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https://doi.org/10.11588/diglit.16482#0131

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nelimbaren religiösen Zug bekommen, so hat er bei
Menzel etwas Kühnes. Unbedenkliches, ein Drauf-
gängertum soldatischer Prägung, ja den großen
preußischen Zug. wie er in edelster Ausreifung,
nämlich in einer Mischung von schroffer Herbheit
und geistvoller Anmut, von Friedrich dem Großen,
dem Helden Menzels, weithin sichtbar vor die Jahr-
hunderte gestellt wurde.

Es gibt nichts, was Menzel nicht malenswert ge-
wesen wäre. Er zeichnet die verschiedenen Statio-
nen, wie ein Ertrunkener aus dem Wasser gezogen
wird. Vom Kriegsschauplatz 1866 bringt er keine
Schlachtendarstellungen nach Hause, denn der
große Eindruck ist ihm noch nicht darstellungsreif,
sondern nur einige Blätter mit nackten Leichen in
der Scheune. Er zeichnet ein Fahrrad mit der
Exaktheit des Konstrukteurs, Möbelstücke mit sorg-
fältiger Durcharbeitung der Ornamente, die De-
tails der LTniformen mit genauer Angabe der Regi-
mentsfarben, der Daten für ein militärwissenschaft-
liches Werk. Menzel ist dabei, als in der Garnisons-
kirche die alten Särge geöffnet werden, und bringt
die vermoderten Generale aufs Papier. Er malt das
Theätre Gymnase und das erste Industriebild, das
Eisenwalzwerk, die neue Eisenbahn Potsdam—Ber-
lin und die Aufbahrung der Märzgefallenen, Ba-
dende an der Saale, Hirsche im Zoologischen Gar-
ten, eine Kanzelpredigt in Innsbruck und das
Marktgetriebe in Verona, den Hof ball bei Wil-
helm I. und — kühn für diese Zeit — Neubauten
mit Gerüsten und Mauern, — und darüber hinaus
mit einem ungeheuren Ausmaß an schöpferischer
Selbstversenkung in eine vergangene Epoche:
Friedrich und seine Welt.

Es ist nicht die Sachlichkeit von 1850 und 1920
mit ihrem bescheidenen Realismus, der deutlich
auf ihre kleinbürgerliche Herkunft hinweist, eine
Sachlichkeit, die es, wie Justi feststellt, etwa einem
Architekten ermöglicht, nach einem Bild von
Gärtner ein abgebranntes Haus historisch ge-
treu wieder aufzubauen. Es ist die künstlerische
Totalität eines Augenmenschen, der alle Theatralik
scheut und sich der ganzen Atmosphäre, dem Klin-
gen und Schwirren des Lichtes, dem Spiel der Farbe
zuwendet, der mit feiner Witterung nach dem Un-
mittelbaren tastet, dem Geheimnis des Wachstums,
wie es auch in den Bau- und Lebensstilen der Ge-
schichte zu spüren ist. Dies alles ist in täglicher be-
wußter und planvoller Übung an der Zeichnung
„exerziert",wie Menzel es selber nannte, preußisch-
soldatisch mit der Gewissenhaftigkeit der Pflicht-
erfüllung und deutsch in einem weiteren und gro-
ßen Sinne. Deutsch ist dieses Werk in seiner selt-
samen Vereinigung von Pedanterie und Genialität,
einer Mischung, der wir in den Jahrhunderten des
öfteren begegnen. Der Gelehrte und Künstler, der
die Fülle der Erscheinung ordnet, das Große sieht
und das Kleinste sich nicht entgehen lassen will.
Welch ein Zeichner! Die souveräne Beherrschung
des Handwerks hat sich ein Mann angeeignet, der
in aller skurrilen Einsamkeit so viel innere Kraft
mitbringt, daß er allen Gefahren des Akademiker-

tums und der Routine entgeht. Im Kleinsten wird
das Große sichtbar. Man braucht gar nicht an die
Holzschnitte für Kugler zu denken, man sehe sich
ein Blatt an. das an einem kahlen Herbsttag die
Terrasse von Sanssouci zeigt mit der diagonalen
Blickrichtung, die Menzel bevorzugt und die sei-
nem Werk noch eine eigene Lebendigkeit mit-
bringt. Das ist eine höchst anspruchslose Ecke, bar
jeder dekorativen Geste. Aber wie lebendig wird
hier das Kleinste, wie wächst der Baum, wie seine
Aste, welches quillende Leben in dem gärtnerischen
Gesträuch, — sprühender Geist, Geist wie er aus
allen Blättern spricht, den Kostüm- und Uniform-
studien, den Hunderten von menschlichenKöpfen.
Man hat nach Menzels Tod versucht, eine Tren-
nungslinie der Bewertung durch sein malerisches
Schaffen zu ziehen und gemäß der impressionisti-
schen Haltung jener Zeit die kleinen (erst damals
„entdeckten") Bilder als sein eigentliches Werk
hinzustellen, die historischen Gemälde jedoch als
Verirrung abzulehnen. Wir wissen heute längst,
wie wenig das eine vom andern zu trennen ist. Den
wunderbaren Landschaften, die stets Gegenden mit
den Spuren des Menschen bevorzugten, dem Bau-
platz mit Weiden, dem Blick über den Park des
Prinzen Albrecht, mit denen Menzel das Werk
Constables fortsetzt, stehen aus gleichem großem
Gefühl eine Reihe Gemälde um Friedrich den Gro-
ßen gegenüber, dem die ganze Liebe dieses ver-
schlossenen Mannes gehörte. Die Theatralik wird
stets verachtet, das Menschlich-intime, beinahe Pri-
vate immer bevorzugt. Aus allem spricht die unge-
heure Hingabe an den Gegenstand, und wenn etwa
bei der Tafelrunde in Sanssouci das Gemälde noch
nicht ganz der Zeichnung entspricht und die Farbe
spröde und trocken bleibt, so zeigt bereits das Flö-
tenkonzert den Maler, der das ganze gestufte Or-
chester seiner Möglichkeiten nun auch im histori-
schen Gemälde beherrscht.

Daß nicht jedes Werk dieses Mannes den Rang sei-
ner besten teilt, nimmt nicht wunder bei einem
Künstler, der mit fanatischem Eifer „exerzierte",
für den vieles nur Vorbereitung für ein Kommen-
des war, der unaufhörlich zeichnete und malte und
dabei räumlich und zeitlich nach Ausmaßen griff,
die für die neuere Zeit höchst ungewöhnlich sind.
Aber von seinen schönsten Gemälden ist jedes ein
ganzes Künstlerdasein wert und in ihnen wird Licht
und Farbe so zur Musik und sprühenden Geistes-
sprache, daß sie sich neben den höchsten Schöpfun-
gen deutscher Kunst behaupten. Und wenn ihr tief-
stes Geheimnis in einer einzigartigen Verbindung
von aufopfernder, pedantischer Treue und flam-
mender, spiritueller Genialität liegt, so mögen die
Zeitgenossen sich bewußt werden, daß dieser nor-
dische Zug sich nie mit einer behaglichen, leicht ein-
gänglichen, dekorativ gefälligen Malerei begnügt
hat, sondern daß er — mag Menzel auch zu den
wenigen deutschen Malern gehören, die zu Leb-
zeiten gefeiert wurden — im tiefsten Sinne von
einer geradezu abenteuerlichen Kühnheit war, die
sich auf neuen Wegen Bahn brach.

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