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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 50.1934-1935

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Hellwag, Fritz: Kann Kunstkritik helfen?, [1]
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Alfred Heinrich Pellegrini. Reh im Wald

Kann Kunstkritik helfen? Von Fritz Heilwag

Zur YV iedergeburt der Künste ist vor allem
eine Wiedergeburt der Sitten nötig.

Delacroix

Den sittlichen Stand eines Volkes pflegt man
danach zu ermessen, wie es seine Künstler ehrt.
Die Wertung künstlerischen Schaffens setzt im
Volk eine ästhetische Aufgeschlossenheit, bei den
Künstlern aber eine ethisch mitreißende Schwung-
kraft voraus. Die gleichzeitige Erfüllung der Vor-
bedingungen ergibt erst die Einheit. Manche Pe-
rioden der Menschheitsgeschichte erscheinen uns in
solcher harmonischen Verklärung, und wir wissen,
daß sie eine glückliche Gegenwart bedeutet haben.
Das ganze 19. Jahrhundert aber war erfüllt von
Klagen über Disharmonie: nach anfänglichem, aber
nicht tiefwurzelndem klassizistischem Auftrieb ver-
fiel die Kunst in Künstelei, gegen die auch isoliert
auftretende große Begabungen nicht ankämpfen
konnten, und das Publikum geriet auf ebenso
künstelnde, entfremdende Abwege. Das 20. Jahr-
hundert setzte mit starker und ehrlicher Selbstbe-
sinnung der Künstler ein, aber der Krieg unter-
brach die günstige Entwicklung. Die Nachkriegs-
zeit brachte den Künstlern eine schwere Enttäu-
schung, über die sie sich in einem leidenschaft-
lichen ,,Aufruf an Alle" bitter beklagten: ,,Der
Bourgeois ist ehrfurchtslos, der Bourgeois kennt
nur eine Freiheit, seine eigene, der Bourgeois
kennt keine Liebe . . .", und weiter: ,,Ach, wir wol-
len ja nur leben können und unsere Werke tun . . ."
Einmal schien es. als ob sie das Volk mitreißen
könnten, es wurden in märchenhaftem Umfang
Kunstwerke gekauft, aber es war nur eine „Flucht

in die Sachwerte", und ihr folgte ein absolutes
Vakuum.

Heroisch kämpften die Künstler dennoch weiter.
Ein Teil von ihnen, das waren die, die wir den
Kreis der „Brücke" nennen, setzte unbeirrt seinen
Weg fort und erhielt die eigene Tradition aufrecht.
Ein anderer Teil steckte seine Ziele in das Soziale
und versuchte, einer Erneuerung der Sitten vorzu-
arbeiten, im Hausbau, in Technik und Hygiene;
das sind die, die wir ,Nationalisten" nannten, weil
sie die künstlerische Synthese der Zukunft überlas-
sen und zunächst einen realen Grund legen woll-
ten. Eine dritte Gruppe, die „Kühnsten"', und die
in schneller Folge von ihnen sich Abspaltenden,
widmete sich ausschließlich intimen theoretischen
Problemen und beging den argen Fehler, die
Öffentlichkeit in die immer unverständlicher wer-
dende Werkstatt blicken zu lassen und so ihren
Spott herauszufordern. Ihr konnte deshalb leicht
ein Klüngel konfliktslüsterner Narren sich an die
Bockschöße hängen, die „Dadaisten", die sie so
kompromittierten, daß erst eine spätere Zeit be-
urteilen wird, wieviel von ihren Problemen im
praktischen Kunstschaffen sich auswirken konnte.
Uber die sittliche Verwahrlosung jener parodieren-
den Dadaisten gibt ihr „Programm" Aufschluß; es
heißt da: „Der dadaistische Mensch trägt die Zei-
chen seiner Verwesung deutlich mit sich herum. Er
sieht, mit der intuitiven Kraft des Menschen, der
das Ende einer Entwicklung in sich begriffen hat,
den Abgrund, der ihm bereitet ist, und schickt sich
an, mit der lachenden Überlegung eines Chevaliers
eigener Provenienz hineinzuspringen, wenn es sein

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