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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 56.1940-1941

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Adolf Menzel: 8. Dezember 1815 bis 9. Februar 1905
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Adolf Menzel. 8. Dezember 1815 bis 9. Februar 1905

Wenn Menzel als Berliner Realist in einer Reihe mit
Schadow, Chodowiecki und Krüger genannt wird
und oft mehr Achtung als Liebe erfährt, wird ver-
gessen, daß er in Breslau, in Schlesien, in der Heimat
des bissigen Gryphius und des empfindsamen Ange-
lus Silesius geboren ist, und daß er für den Barock
der bayrischen und österreichischen Stifte, für Git-
terwerk, Chorgestühl und flackerndes Kerzenlicht im
Dunkel der Gewölbe eine mehr als nur malerische
Neigung empfand. Wenn Menzel ein unnachahm-
licher Wirklichkeitsschilderer war und ein schlafen-
des Kind in den weißen Kissen, eine Abendgesell-
schaft im Lampenschein, einen Pferdekopf, eine
Hand oder eine wehende Gardine mit einem Grad
von atmendem Naturlicht wiedergeben kann, daß das
Leben selber daneben verblaßt, so bleibt bestehen,
daß seine Bilder aus der Zeit l-'riedrichs des Großen,
das Flötenkonzert, die Tafelrunde in Sanssouci, die
Schlacht bei Hochkirch die Werke sind, die seinem
Namen das geschichtliche Gewicht gaben. Obwohl
Menzel wie ein Gelehrter seine gründlichen Quellen-
studien getrieben hat, so sind diese Bilder nicht nach
Museumsmasken und Kostümen gemalt worden, viel-
mehr haben die Phantasie des Künstlers und seine
intuitive Einfühlung in die vergangene Zeit den
Geist der Epoche lebendig gemacht.
Das Bild „Friedrich der Große bei Hochkirch"
gleicht in der Schlachtenmalerei des 19. Jahrhunderts
der Schlacht bei Nancy von Eugene Delacroix darin,
daß das historische Ereignis und Erlebnis aus der
malerischen Schau des Helldunkels, in flammendem
Rauch und Dunkel gesehen ist, aus dem der König
auf seinem feurigen Pferd gespenstisch visionär da-
hergesprengt kommt. Die Krönung Wilhelms I. in
Königsberg mag als gemalte Chronik eines Augen-
zeugen mit aller Genauigkeit wiedergegeben sein,
aber in dem Flötenkonzert Friedrichs des Großen in
Sanssouci lebt im Gesamten von Interieur, Musik
und Kerzenlicht eine tiefere geschichtliche Stimmung.
Der Hauch der Geschichte weht unmittelbar durch
den Raum und umgibt die Figuren. Vielleicht gehört
es überhaupt zur Malerei, daß sie Legende, Ge-
schichte, Erinnerung und Erwartung eindringlicher
und bildhafter vergegenwärtigen kann als das Ge-
genwärtige.

Adolf Menzel war im besonderen Sinne ein Maler,
ein Meister der koloristischen Pointe wie sie im Theä-
tre Gymnase, im Fackelzug oder im Ballsouper ge-
geben ist und ein Beobachter der Stille, der ein Auge
hat für die Leere eines Zimmers oder den Blick aus
dem Fenster in den Hof oder auf die Wolken. Aber
seine Laufbalm hat Menzel begonnen als Zeichner
und Graphiker, und durch die Wiederverlebendigung
des Holzschnittes, der sich seiner Augenblickshand-
schrift anbequemen mußte, hat er die Illustrationen
zu Kuglers Geschichte Friedrichs des Großen ent-
werfen können, die in Erzählung, Ornament. Vi-

Siehe unsere illustrierten Veröffentlichungen in den Heften: Dezember
1885. Dezember 1895, März 1905, Dezember 1915, Januar 1956.

gnette, Flächenschmuck und Charakterisierung eines
der ursprünglichsten Werke der deutschen Graphik
des 19. Jahrhunderts geblieben sind. Aber auch seine
Radierungen und Lithographien, seine Tischkarten.
Briefköpfe, Embleme sind aus einem graphischen Si-
tuationssinn voller Laune, Satire, Komik und Drastik
entstanden. Der Zeichner und Maler, den man vor-
eilig nur den Fleißigen heißen wollte, war ein Geist
voller sprühender Einfälle und von einer umfassen-
den Erkenntnis des Menschlichen.
Menzel malte und zeichnete Dinge und Beobachtun-
gen, die die Realisten sonst nicht gesehen haben und
die er entdeckte, weil er das Malerische abseits von
der akademischen Bildüberlieferung suchte. Er malte
etwa eine Atelierwand mit Gipsarmen und Gipsköp-
fen, wo die weißen, toten Glieder und Masken im
Flackerlicht von unten seltsam geisterhaft aufleben
und wo das Dingliche in einer Weise erfaßt ist, die
man nicht mehr als Stilleben bezeichnen kann.
Oder er zeichnete das Sterbezimmer Beethovens, wo
nur der Flügel und die Büste stehen und wo der an-
dächtige Schauer der Erinnerung mit den Schatten
über die kahlen Wände zieht. Auch zeichnete er
Joseph Joachim und Clara Schumann, zusammen kon-
zertierend, weil das Element des Musikalischen, das
Klingen der Instrumente in seinen Sinnen ein Echo
fand. Er malte in einem frühen Bilde auch die
Schwester, die mit der Kerze in der Hand an der offe-
nen Türe des Wohnzimmers wartet, und wo die
Lampe in der Tiefe des Zimmers und die Kerze im
Vordergrund die beiden Lichtpunkte ergeben, um die
die malerische Schwingung kreist. Er behielt nicht
die Eindrücke, die aufblitzen und wieder vergessen
werden, sondern in dem Augenblick, den er farbig
auffing, ruhte die ewige Wiederkehr des Lebens, des
Gewohnten und der Dauer, und was als Zufall er-
schien, beruhigte sich wieder im Gleichmaß der Zeit.
Seine Aufzeichnungen sind darum zu unvergeß-
lichen Bildern geworden und bedeuten etwas anderes
als nur Studien und Skizzen, die die Voraussetzung
der Bilder sind, aber nie ein in sich ruhendes, er-
schautes Bild ersetzen können.

Menzel hat ununterbrochen gezeichnet, und immer
war ihm ein Stift zur Hand, mit dem er aufnotierte,
was er auf der Straße, in Gesellschaft oder auf Spa-
ziergängen sah. Seine Bilder aber lassen nichts ahnen
von diesen Übungen, sie sind frei von der Fron des
Modelles und wurden im Malen aus der farbigen und
graphischen Laune in unmittelbarer Frische erfun-
den. Die Bilder ergaben sich dem Künstler aus dem
graphisch malerisch musikalischen Formempfinden,
das in ihm nicht weniger entwickelt war als etwa in
Schwind, der wiederum im Erlebnis des Malers Bin-
der, im Atelierbesuch der Herzogin von Orleans oder
im Besuch der Freundin Bildsituationen in der Art
Menzels festgehalten hat. Die Kunst Menzels erweist
sich gerade darin als spontan und lebendig, daß sie
sich keiner Etikettierung, keinem Begriff einfügen
will.

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