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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 56.1940-1941

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Christoffel, Ulrich: Auguste Rodin: ein Nachwort zu seinem 100. Geburtstag
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https://doi.org/10.11588/diglit.16489#0224

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Auguste Rodin. Ein Nachwort zu seinem 100. Geburtstag. Von Ulrich Christoffei

Auguste Rodin liebte die Farbe und das Licht. Er
glaubte, daß auch die Bildhauer das Leben als Farbe
und Ton empfinden wie die Maler, und er sah die
Kathedralen wie lichte Kristalle aus den bläulichen
Schatten des Abends hervorleuchten. Das Licht ist
das sinnlichste Element, es wirkt für den Augenblick
im Augenblick, es blitzt in tausend Funken, aber es
entflieht dem Empfinden und keine Hand kann es
fassen. Das Licht ist wie das Leben. Rodin jagte dem
Leben nach. Er tauchte unter in dem glitzernden
Strom des lichten Seins und faßte die sprühenden
Tropfen zu rätselhaften Zeichen, gab ihnen Namen
und Bild und ließ sie, kaum geformt, erkalten, weil
die Selmsucht nach dem Leben an sich ihn forttrieb
in das große Geheimnis der Schöpfung hinein, aus
der das Leben und das Werk der Künstler geboren
werden. Sind Licht, Farbe und das schimmernde Le-
ben die Elemente, aus denen die Plastik entsteht?
Auguste Rodin liebte auch den Gedanken. Er hat ihn
in einem durchsichtigen Mädchenkopf leicht wie eine
Schneeflocke festgehalten. Rodin sagt es selber: Die
ganze Schönheit der Kunst rührt vom Gedanken her,
von dem Gedanken, den der Künstler im Universum
entdeckt hat und den er darstellen möchte. Die Kunst
ist Beschauung, Kontemplation. Sie entsteht aus dem
geistigen Vergnügen, die Natur zu durchdringen und
den Geist aufzusuchen, der darin wirkt. Es gibt wohl
kein Kunstwerk, das sich nur an die Augen wendet.
Die Künste wollen alle gemeinsam die Regungen der
menschlichen Seele wiedergeben, und die Empfin-
dungen der Seele sind gestaltlos wie Farbe, Licht und
Gedanken. Die Kunstwerke sind Gedanken, aber
kann das Plastische aus dem Gestaltlosen. Gedank-
lichen hervorgehen?

Rodin liebte die Bilder von Eugene Carriere, die das
kühn erfaßte Wirkliche einhüllen in Schatten und
Schein und die sich versenken in die Schleier träu-
mender und erwartungsvoll erwachender Seelen. Ro-
din erschien die Natur als ein Gleichnis, und er, der
lustvoll das Sonnenlicht auf dem körnigen Marmor
spielen sah, suchte grübelnd im Sinnlichen das Ge-
dankliche. Er war Symbolist. Er wandte seine Sehn-
sucht nicht allein darin den Kathedralen zu, weil er
in ihnen die verlorene Heimat seiner bildnerischen
Gestalten suchte, sondern weil sich der französische
Kathedralgeist in der einzigartigen Versinnlichung
des Abstrakten, in der traumhaft überwirklichen
Tersichtbarung des Gedachten und Vernünftigen in
ihm neu verkörpert hatte. Der Hunger nach Wirk-
lichkeit und Leben, der während des Schaffens der
sinnlichen Zuverlässigkeit des Augenblickes unbe-
grenzt vertraute, war die Kehrseite einer rationali-
stischen Haltung, die im ewig schwebenden Denken
und Gedankesein, die sich in der Kathedrale zur rein-
sten Spiritualität erlöst hatten, den Reichtum des Da-
seins erkannte. Aus dem Erbe seiner Rasse bedeutete

Siehe unsere illustrierten Veröffentlichungen in den Heften : April 1905.
Oktober io.io; November 1954.

dem Künstler alles Sinnliche etwas rein Erkanntes,
etwas Gedachtes, etwas Formales, wie seinen Vor-
läufern David, Racine und Descartes.
So sind die plastischen Werke Rodins Gedanken, in
den Raum der unsichtbaren Kathedrale gestellt. Sie
gehören zu einem Gesamtkunstwerk, das viele Be-
züge zur Antike, zur Gotik und zu den Italienern
umfaßt. Der Basler Bildhauer Karl Burckhardt ist
diesen Erinnerungen bei Rodin an die archaischen
und hellenistischen Griechen und an Donatello, Mi-
chelangelo und Puget mit künstlerischem Verständ-
nis nachgegangen. Bei dem Namen Michelangelo
darf man aber nicht an die Eva, den Denker oder den
Balzac von Rodin denken, sondern der alternde Mi-
chelangelo, der dem entkörperten Stein körperlose
Gedanken entlockte und der schon in den Zeichnun-
gen, was er innerlich sah, nur in blasser Kreide an-
deutete, ist zum Vorbild der Symbolisten um 1900
geworden, die trotz perlender Sinnenlust zeit- und
weltflüchtig den Gehalt der Kunst im Dämmer der
Gedanken suchten.

Wie Traumgebilde blühen die jugendlich schmäch-
tigen Figuren Rodins aus dem bleichen milchigen
Stein, wenn er inFrancesca daRimini, in der Sphinx,
im Ewigen Idol oder dem Ikarus Bilder oder oft nur
Gebärden von bedeutungsvoller Gedanklichkeit und
wehmütiger Schönheit erweckt. Die Formen und Um-
risse scheinen kaum durchgeführt und sind nur selten
deutlich erkennbar, und aus dem zart gemeißelten
Stein tritt wirksam nur das Unaussprechliche hervor.
Rodin hielt sich auch in der Zeichnung nicht an das
plastische Gewicht des Körperlichen, sondern ihn
fesselte allein die Bewegung der Umrisse, die Schat-
ten, die der fliehende Körper im tonigen Rah-
men der Fläche zurückläßt. Der verzehrende Fluß
des Lebens wechselte dauernd von der Erwar-
tung zur Resignation. Rodin lebte in der Sehnsucht
der Jugend. Das Erwachen des Frühlings, die Ver-
heißung der Mainächte, die Natur, die ewig werden
will, erfüllten seine Sinne, und seine Werke tragen
die Namen dieser Empfindungen. Die Kentaurin, die
sich in Körper und verlangende Seele entzweit oder
die Doppelung der Gestalten in Amor fugit, in der
Träumerei, im Pygmaleon und Galathea und in den
vielen Fassungen der Umarmung sind Sinnbilder für
die Teilung und Wiedervereinigung des Lebens, die
der Künstler sich teilend in Gestalten und Denken
selber als Schrecken und Glück miterlebte. Vieles hat
Rodin in Bildnissen und Denkmälern, in den Bür-
gern von Calais und dem „Ehernen Zeitalter" seiner
Gegenwart geschenkt, mehr vielleicht noch der Nach-
welt in den plastischen Träumereien und Gedanken,
die im Gleichnis des Lichtes und des Lebens alle Rät-
sel der künstlerischen Formgebung und des Erwa-
chens der Seele aus dem reinen Denken und des Kör-
pers aus der Seele aufrühren. Was die Hände des
Künstlers sinnlich formen, zerfließt wieder in Nebel
und Licht. Lebendig bleibt nur der Gedanke.

III
 
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