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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 59.1943-1944

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Bühnemann, Hermann: Anläßlich eines kürzlich aufgefundenen Brautbildes der Frau Christine Hebbel von Carl Heinrich Rahl
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https://doi.org/10.11588/diglit.16492#0148

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Anläßlich eines kürzlich aufgefundenen Brautbildes der Frau Christine Hebbel
von Carl Heinrich Rahl1)

Darf ein in völliger Abgeschiedenheit privaten Be-
sitzes bisher verborgenes Bildnis der Christine Hebbel
schon allein um seines Gegenstandes willen auf das
Interesse der größten Öffentlichkeit rechnen, um wie
viel mehr, da es sich als ein Werk von so zauberischer
Anmut enthüllt. Daß es sich eben um diese Darge-
stellte handelt, wird bisweilen von einem leisen Ge-
fühl des Verwunderns aufgenommen werden. Denn
einmal würde man wohl eine Welt von so südlichem
Duft und blühender Sinnlichkeit nicht sogleich mit
den Vorstellungen des Namens Hebbel assoziieren,
mit jener herben nordischen Welt, von der sich der
Dichter bewußt war, man spüre „den steinigen Boden,
auf dem der Baum gewachsen, und das naßkalte Wet-
ter, in dem die Früchte gereift seien", — und wie fern
scheint diese südliche Anmut beispielshalber von einer
Kriemhild, deren Umrisse die Tragödin mit so viel
Meisterschaft ausfüllen sollte! Indessen, mag auch der
eben von Italien zurückgekehrte, von Tizian und der
Antike heiß erfüllte Bahl diese Anlage leis übertrie-
ben haben, so bezeugen doch manche Äußerungen
Hebbels den ins Südliche spielenden Typus seiner Frau,
so etwa — bei Würdigung einer Aufführung der
„Emilia Galotti" — „Frau Hebbel bringe Alles mit,
was zur Orsina gehöre und was gerade hier so un-
umgänglich notwendig sei: die stolze Figur, das ita-
lienische Feuerauge, den ganzen Adel seelenvoller
Plastik", Worte, die wesentliche Schönheiten in un-
serem Bilde berühren. Wäre nicht überdies die Über-
lieferung des Bildes gesichert, so würden wir diese
Züge, diese Schultern und die edle Melodie von
Nacken und Hals auf der etwa 10 Jahre später entstan-
denen Lithographie von Kriehuber (Wurzbach 782)
wiederfinden, sowie — ins Beife gewandelt — auf
einem späten Bildnis, ebenfalls von der Hand Fahls,
welches übrigens das Porträt der Jugend seltsam genug
in Bildausschnitt, Haltung, Anordnung, Akzenten
wörtlich wiederholt2).

Ein anderer Einwand dürfte der sein, daß dieses Bild-
nis zwar sehr die Liebende fühlbar, daß gerade der
Schimmer von Glück dieses Bild so unwiderstehlich
mache, daß wir den Kreis von mütterlicher Liebe spü-
ren, darin einer unserer größten Dramatiker sich erst
zu entfalten vermochte, daß uns der weiche, namenlos
zum Leiden und Mitleiden fähige Mensch entgegen-
trete, dieser ganze Mensch, als den sie sich in allem,
nicht zum wenigsten in ihrer Beziehung zu Elise
Lensing bewies. — kurz, daß wir die Nähe des emp-
findungsvollsten Herzens spüren, daß aber dafür die
Tragödin etwas im Hintergrund zu bleiben scheine.
Und gewiß ist dies vor allem ein Menschenantlitz
mit dem Fluidum des ganz Intimen: es spricht, es
offenbart sich, es liefert sich aus, und statt auch nur
des leisesten Schimmers von der Affektation der Bühne
breiten sich darüber die schönen Merkmale des Frauen-
gesichts in Buhe: zartes Sinnen, stille Güte und eine
ernste Anmut. Nur als ein leisestes Ingredienz läßt
sich in dem Weibe die Künstlerin, in dem tiefen Feuer
der Augen — was für Augen! — die Fähigkeit und

in der großen Form der Stirn, der Brauen, der Wan-
gen die Ausdrucksmöglichkeit tragischer Leiden-
schaften ahnen. Aber, daß es der Künstler bei der
Ahnung beließ, daß er — vor allem im Fluidum der
seelenvollen Augen — das Menschliche fast allein
sprechen ließ, gerade darin scheint uns eine besondere
Schönheit dieses Bildnisses zu liegen. Darin unter-
scheidet sich dieses kostbare Bildnis von dem 1858.
ebenfalls von Bahl, geschaffenen, sehr offiziellen Por-
trät im Besitz der Nationalgalerie, das nun die Tra-
gödin darstellt, eine Bolle in der Rechten, mit der
Linken den Schleier zurücknehmend, die Augen mit
dem Ausdruck des Pathetisch-Erhabenen auf den Be-
schauer gerichtet3). Und auch über dem bereits er-
wähnten Spätbildnis liegt trotz der einfachen Konzep-
tion noch ein Beflex von dem gesteigerten Affekt der
Bühne. Hier dagegen atmet alles nur Liebe . . .
Selten, daß ein Bildnis so rein in sich schwingt, als
sei die Arbeit von einem tiefen Einverständnis zwi-
schen Maler und Modell getragen gewesen, gemein-
sam das Vollkommene zu leisten, als habe von der
ersten Eingebung bis zum letzten Pinselstrich ein
einziges Glücksgefühl des Formens gewaltet. Wieder
bewahrheitet die demütige Methode des objektiven
Meisters die schöne Formulierung Fiedlers, nichts an-
deres sei in aller Kunst auf die Dauer stichhaltig, als
was Zeugnis ablege von konzentrierter Versenkung in
die Erscheinung. Und nur so tiefem Respekt vor dem
zarten Frauenwesen war es möglich, den in deutscher
Kunst so seltenen — doch von den Grazien Wiens be-
günstigten — Klang zu finden, das Unnennbare, den
Zauber, diese mehr als sinnliche Schönheit, die den
Körper der Frau wie in ein Lächeln kleidet. . .
Was aber diesem Rahl eine besondere Bedeutung selbst
in der hohen Porträtkultur seiner Zeit sichert, ist das
Maß von hellenischem Instinkt und Tizian, das in
ihm lebendig war. Überraschend ist an unserem Bild-
nis der schöne italienische Duft, die große, an den
Italienern geschulte Form, die unbefangene und starke
Sprache des Körpers. Mit mindestens der gleichen
Stärke wie durch das Fluidum der Augen spricht hier
das Leben durch den jugendlich prangenden Körper:
und in welch vollkommener Einheit und Harmonie
erblühen hier mit leichter Wendung Hals und Antlitz
aus der schimmernden Plastizität der schönen Schul-
tern und der sanften Melodie des Nackens!
Fügen wird endlich noch hinzu, daß sich diese schöne
Plastizität mit den Mitteln reiner Malerei realisiert,
daß sich das Bild ganz aus Farbe aufbaut — das
bräunlich schimmernde Inkarnat in zärtlicher Bezie-
hung zu dem Tizianblau des Himmels, demBordeaux-

*) Hebbel war mit Rahl. den er 1844 in Rom kennenlerme, eng ver-
bunden. Huldigungen im Epos ..Mutter und Kind" sowie in der Ein-
leitung zu den Schriften Feuchierslebens. Rahl malte den Dichter 1851
(Goethemuseum. Frankfurt) und 1855 (Nationalgalerie); Bildnisse der
Christine: 1846 (das unsere), 1858 (Nationalgalerie), sowie zirka 18G5
(Wien, Generalintendanz).

2) Stich von Mayer, als Beilage zu Auer's polig. illust. Zeitschrift
„Faust".

3) Wir verdanken die Schilderung der Liebenswürdigkeit des Herrn
Prof. Dr. P. O. Rave.

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