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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 2.1891

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Kumsch, Emil: Pflanzen-Studium und Stil, [2]: Vortrag, im Zusammenhang mit den gleichzeitig stattgehabten Ausstellungen im Königlichen Kunstgewerbe-Museum zu Dresden über "Die Anwendung von Naturformen in der dekorativen Kunst", gehalten am 21. Januar 1891 im Dresdener Kunstgewerbeverein
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Illustr. kunstgewerb l. Zeitschrift für „In n e n-De ko ra t io n".

5-eite 65>.

und ^tik.

Vortrag, iin Zusaimnenhang mit den gleichzeitig stattgehabten Ausstellungen im Königlichen Aunstgewerbe-Nuseum zu Dresden über
„Die Anwendung von Naturformen in der dekorativen Kunst", gehalten am 2s. Januar s8sts im Dresdener Kunstgewcrbcverein

von Bibliothekar E. Kumsch.

^evor wir uns nun der Betrachtung der zweiten Ausstellung zuwenden,
sei mir zunächst gestattet, einige darauf bezügliche Begriffe zu beleuchten.
Zunächst begegnen wir der Frage: Wa-
rum ist es nöthig, die Pflanzenformen
bei ihrer Anwendung in der dekorativen Kunst zu
stilisiren? Hierüber wird vielleicht so ziemlich jeder
Fachmann seine eigne Ansicht haben, die. mcinige
ist, daß jede Bemühung, die Pflanze in ihremganzen
Wesen nachzubildcn, an dem Unvermögen des mensch-
lichen Könnens scheitern muß, sowie an der Unzu-
länglichkeit unserer Mittel. Auch wenn wir eine
Pflanze künstlich möglichst getreu nachzubildcn ver-
suchen, wird die Feinheit der einzelnen Bewegungen
in den verschiedenen Formen, die Farbe und der
Duft, kurz, der größte Reiz dem Kunsterzeugniß
mangeln, das letztere gegen das (Original unendlich
zurücktreten und verlieren. Wir wollen und wir
brauchen den vollständigen Ersatz aber gar nicht,
auf dekorativem Gebiete wollen wir Nur das uns
Ansprechende der Pflanze in möglichst unverhüll-
tem, ja womöglich noch gesteigertem Maße zur An-
schauung bringen, gesteigert z. B. durch rhythmische
oder symmetrische Anordnung von Formen, die in
einem sich ergänzenden verhältniß zu einander stehen.

Was das Stilisiren der Pflanzen selbst anbe-
trifft, so gehört dazu, meiner Meinung nach, zu-
nächst die Entkleidung der Form von Unregelmäßig-
keiten die durch äußere Umstände, wie Witterungs-
verhältnisse, Insektenstiche, Druck usw. hervorge-
rufen sind, womit die Konstruktion, also die Zurück-
sührung der Naturform auf die ihr zu Grunde lie-
gende geometrische Form, das Gesetz ihres Wachs-
thums, Hand in Hand geht. Sind (0 Personen mit
der Herstellung dieser Grundform desselben Blattes,
derselben Blüthe, desselben Zweiges beschäftigt,
so werden alle ;o annähernd dieselben Resultate
erzielen, diese werden sich nur durch das mehr oder
weniger feine Empfindungsvermögen der einzelnen
Theilnehmer unterscheiden. Zum Stilisiren gehört
weiter auch die Auswahl derjenigen Theile einer
gewählten Pflanze, welche das eigentlich Karakter-
istische derselben, also ihre Eigenart am besten zur
Erscheinung bringen und diese zur herrschenden Form
des Gebildes zu machen, wobei das natürliche Ver-
hältniß zu den übrigen Theilen durchaus nicht ge-
wahrt zu werden braucht; es kann vielmehr diese
Form ohne Nachtheil anf Kosten der Letzteren zum
erhöhten Ausdruck gebracht werden. Dem Bo-
taniker ist es von Interesse, an der Pflanze die
Einflüsse zu ergründen, welche die Gesetze der Er-
nährung, der Fortpflanzung usw. auf die Bildung
und Ausgestaltung der einzelnen pflanzlichen (Organe
ausgeübt haben. Der Zeichner sucht an der Pflanze
nur die schönen Formen, er entkleidet dieselben jener
Nützlichkeitsformen, soweit sie ihm hinderlich er-
scheinen, die Schönheit ihn interessirender Theile zur
vollen Geltung zu bringen. Vor Allem aber gehört
zum Stilisiren die Verarbeitung der Grundform in
der Eigenart des Künstlers, durch die dieselbe zur
Kunstform umgebildet wird.

Unter den Werken, die sich mit dem Konstruiren
der Pflanzen und Gruppirung der hierdurch gewon-
nenen Grundformen im Allgemeinen beschäftigen,
ist es eine ansfällige Erscheinung, daß sehr häufig
fast mikroskopisch kleine, noch unentwickelte Formen
mit Vorliebe herangezogen und verwendet werden.

Ich glaube die Erklärung für diese Erschein-
ung darin finden zu können, daß das Zeichnen von
Pflanzen einen eigenen hohen Reiz gewährt und

daß der Zeichner, der mit Liebe den szarten Bewegungen der Hauptformen der
Pflanze gefolgt ist, nach und nach den Reizen der kleineren, noch unentwickelten
Formen folgt, wie sie sich in den knospenden Blättern und Blüthen finden.

Auch die Auswahl der Pflanzenformen im Allgemeinen erfordert einige
Beachtung.

Wenn ich auch nicht behaupten möchte, daß irgend welche Formen dem
Naturzeichner während des Studiums keine oder nur geringe Schönheit offenbaren,
so ist doch gewiß, auf dem Papiere, also nicht bei unmittelbarer Anschauung der

Abbildung Nr. ;ü8. MüllUIIg für einen Schrank

Lntworfln und gezeichnet von 6einr. wetze!.

pflanze selbst, können einzelne Formen, namentlich in der Vergrößerung, einen
Kunstgenuß nicht gewähren und sind auch für Kompositionen schwer oder gar

nicht verwendbar. Es sind dies vorzugsweise die-
jenigen pflanzenforme», welche eine energischere
Bewegung zeigen, z. B. das noch spiralförmig ge-
rundete Blatt der Farrne, das noch gefaltete junge
Blatt der Roßkastanie, die Schmetterlingsblüthen
und Anderes. Andere Gebilde wieder tragen einen
ohne Weiteres für die Dekoration verwerthbaren
Ausdruck, z. B. die Kornblume, die Passionsblume
usw. Natürlich begegnen wir diesen Dekorations-
formen auch um so häufiger.

Die Liebe übrigens, die den Naturzeichner für
seine Beschäftigung erfüllt, erklärt sich aus dem Ge-
nuß, den die eingehende Beschäftigung mit der Natur
überhaupt gewährt; es ist dieselbe, die den Natur-
bummler, der, abgesehen von seinem berühmten vor-
bilde Seume, als eine Erscheinung unserer reiselustigen
Zeit angesehen werden kann, für Feld und Wald, für
den Höhenzug arn Horizonte und den Reiz des ein-
samen Flußthales in Schwärmerei zu versetzen vermag.

Was die Bestrebungen anlangt, welche dem
Naturstudium in kunstgewerblichen Schulen einen
größeren Einfluß eingeräumt wissen wollen, so
möchte ich glauben, daß es zweckmäßig ist, diesem
Wunsche Rechnung zu tragen. Nicht um dadurch
einen neuen Stil zu erfinden, wohl aber, um die
Schüler zu befähigen, an Stelle der ihnen größten-
theils unverständlichen, konventionellen Kunstformeu
solche Formen zu setzen, deren Art ihnen von Kind
auf bekannt ist, denen sie in Feld und Wald be-
gegnen, die mit ihrem Fühlen und Denken verwachsen
sind. Die, namentlich in der italienischen Renaissance
häufig und am vornehmsten zu Tage tretende Na-
turbeobachtung und Naturempfindung sowohl in der
Anordnung der ganzen Entwickelung wie in der Be-
wegung jeder einzelnen Blatt- und Blüthenform,
sowie die feine Vertheilung der Massen, das Alles
kann in gleichem Maaße wie bisher dem Schüler doch
zur Lrkenntniß gebracht werden, während anderer-
seits ein liebevolles Studium der Natur, wie es
das Pflanzenzeichnen ohnedies erfordert, bei einem
überhaupt geeigneten Schüler das verständniß für
die Schönheiten der Naturformen von selbst er-
schließen wird.

In einem Punkte scheinen alle diejenigen über-
einzustimmen, die sich mit unserem Thema beschäftig-
ten, daß nämlich die Uebungen im Konstruiren und
Stilisiren der Pflanzen nicht den Anfang machen,
daß sie erst in den höheren Klassen getrieben werden
sollten, wenn überhaupt dem Schüler die naive un-
befangene Auffassung und Wiedergabe der Natur-
formen bleiben soll. Andernfalls wird der Schüler
beispielsweise ein Blatt, das sich in einen Kreis
einzeichnen läßt, bei dem außerordentlich wichtigen
Zeichnen und Malen nach der Natur, die betreffende
Blattform unwillkürlich mit jenem imaginären
Kreise umgeben und ihr so den frischen Hauch der
Naturwahrheit rauben. Hierauf dürfte es z. B. auch
zurückzuführen sein, daß Zeichner, deren Pflanzen-
studien im Uebrigen das feinste Verständniß, die
gewissenhafteste Wiedergabe zugesxrochen wird, ihren
größeren Studien, wie Bouquets und dergleichen
eine plastische Erscheinung nicht zu geben vermögen,
also die einzelnen Theile gegeneinander nicht hervor-
und zurücktreten zu lassen; sie sind eben gewöhnt,
für die Fläche zu zeichnen und lassen den Einfluß
der Perspektive und Schattirung nicht genügend zur
Erscheinung gelangen.

Lin Unterricht im Stilisiren ist ^nach meiner Anschauung nicht thuulich,
soweit es sich um die selbständige Ausbildung des Schülers handelt, da Stili-
siren für mich die Umgestaltung der Grundform durch die Eigenart des Zeichners
bedeutet.

Ein Lehrer, welcher diesen Unterricht ertheilen sollte, würde also nur seine
Eigenart den Schülern einimxfen, die selbständige Auffassung der Letzteren aber
nicht zur Geltung gelangen lassen können. Diese Eigenart erscheint zunächst (ohne
tadelnde Nebenbedeutung gesprochen) als Manier, selbst wenn es sich um Nach-
 
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