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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 3.1892

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Mielke, Robert: Ueber Bauern-Möbel
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https://doi.org/10.11588/diglit.6760#0181
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Leite s^2.

Zllustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Znnen-Dekoration.

August-kfeft.

Eebee Dauern

von Robert Nielke.

Nirgends wohl ist der deutsche volkskarakter zu einem so unverfälschten
Ausdruck gelangt wie in seiner Wohnung, paus und perd sind die ge-
treuen Spiegel, in denen wir Alles wiederfinden, was die Volksseele
in ihrer schlummernden Tiefe birgt; aber wie das paus in den ver-
schiedenen Landschaften sich anders entwickelte, so hat auch die Bauernwohnung
eine den Stammeseigenthümlichkeiten entsprechende Ausbildung erfahren. Mehr
denn je droht die Gegenwart mit ihren nivellirenden Einflüssen auch diese Sonder-
heiten des deutschen Volkes zu zerstören, und wenn es auch nicht Aufgabe der
Zeitschrift für Innen-D ekoration sein kann, diesem bedauerlichen Prozesse
entgegenznwirken, so liegt doch eine Betrachtung der Bauernmöbel in ihren stilistischen
Erscheinungen nicht ganz außerhalb
ihres Programms. Bauernmöbel haben
nicht nur die Aufmerksamkeit in dem
Maße auf sich gelenkt, daß die moderne
Möbelindustrie sie theilweise als ge-
schlossene Innen-Dekoration verwendet
(ich erinnere an die Thätigkeit Sauer-
manns in Flensburg), sondern sie haben
auch bis zu einem gewissen Grade dazu
beigetrageu, diese Industrie stilistisch zu
beeinflussen. Leider aber ist dieser Ein-
fluß nicht rückwirkend gewesen, und wir
können überall, wo Neubildungen auf
dem Gebiete des ländlichen Möbel-
tischlers erscheinen, einen Rückschritt
konstatiren. Mehr aber als dieser ist
die Gleichgültigkeit, mit der der Land-
mann von heute vielfach auf das alte
„Gerümpel" blickt, zu bedauern. Die
von den Städten glücklicher Weise über-
wundenen, geschweiften und xolirten
Rokokomöbel, die weder den Aweckbe-
dürfnissen noch der Neigung des Land-
manns entgegenkommen, beginnen jetzt
sich über das Land zu verbreiten, ohne
dabei eine Veredelung der Form, die
hier dringend zu wünschen wäre, zu
erfahren.

Der Begriff Bauernmöbel ist ein
in sich abgeschlossener; ein innerhalb
des großen Stilgebiets selbständig sich
entwickelnder Formungsprozeß, bedingt
von gewissen altehrwürdigen Aeberlie-
ferungen und strengsten Zweckbestim-
mungen, stellt sich in ihm dar. Er ist
untrennbar mit der Entwickelung des
Bauernhauses verbunden. Wo dieses
zu größerer Abgeschlossenheit der Wohn-
gelasse geführt hat, ist nothgedrungen
auch die Ausstattung derselben eine
reichere als dort, wo diese noch nicht
vollkommen von dein Gesammtorga-
nismus der Wirthschaftsräume geschie-
den sind. Wir finden daher in dem
sächsischen Pause, das noch Thier und
Mensch unter demselben Dache beher-
bergt, das noch in ursprünglichster Weise
Perr und Gesinde um denselben perd
versammelt, eine geringere künstlerische
Ausbildung der Mobilien, als im nor-
dischen, friesischen oder schweizerischen
Pause. Dennoch gibt es auch hier Aus-
nahmen. So hat die Wohnung in den
sächsischen päusern Schleswig-Polsteins und Pommerns einen reicheren paushalt
aufzuweisen, als die in dem nordwestlichen Deutschland. Ueberall aber geht die
ländliche Möbelindustrie von gewissen technischen Prinzipien aus, die für dieselben
karakteristisch geworden und denen die folgenden Ausführungen gewidmet sind.

Sehen wir uns einmal eine ältere Bauernwohnung an, um festzustellen, was
an Pausrath sich in derselben vorfindet. Da fällt zunächst der große, ans glasirten
Kacheln bestehende Gfen ins Auge, bald grün, bald braun, hier mit Messingknöpfen
verziert, dort ohne diesen Schmuck. In einzelnen Landschaften, z. B. in Schleswig-
polstein, ist ihm ein perd vorgebaut, auf dem zur Winterszeit gekocht wird. Wäh-
rend der Gfen heute vielfach als eine stilistische Nebensache behandelt und in eine
Ecke geschoben wird, hat er im Bauernhause noch immer seine alte Werthschätzung
bewahrt. An hervorragender Stelle platzirt, ist er der Mittelpunkt des Wohngelasses,
um den sich, wie in alten Tagen, die Pausbewohner an den langen Winterabenden
zusammenfinden.

Wenn er nicht, wie in den friesischen Marschen, als offener Kamin angelegt
ist, zieht sich meistens eine Bank um denselben herum, die fest mit ihm verbunden

Abbildung Nr. HOO. Boudoilf

ist. Ihm gegenüber steht in der Regel die hohe Standuhr, so daß die am Gfen
Versammelten dieselbe stets vor Augen haben. An der einen Seite des Zimmers
befinden sich die Bettstellen, häufig alkovenartig in die Wand hineingebaut und
dann in der Regel mit Schiebern verschlossen. Wo sie sich bereits als bewegliche
Geräthe von dem Organismus des pauses losgelöst haben, deuten die in die pöhe
geführten und oben durch Rahmenwerk mit mehr oder weniger Dekoration ver-
sehenen Ständer diesen Ursprung noch an. Rings an den Wänden stehen die großen
eichenen Laden, in Deutschland mit durchbrochenem Eisenwerk oder flachen messingenen
Beschlägen versehen, die den Reichthum des pauses an selbstgewebten Stoffen, an
Familienschmuck und Festgewändern enthalten. Lin großer eichener Tisch, einige
Stühle derselben Art, wenige Bilder, aber desto mehr Geschirr vervollständigen
die Ausstattung eines bäuerlichen Wohnzimmers.

Wir vermissen dabei mancherlei, das nach unseren Begriffen nothwendig zur
Wohnung gehört, z. B. den Schrank und die Kommode. Beide sind aber dem

Bauernhause nicht ursprünglich eigen,
sondern erst durch den veränderten Ge-
schmack demselben einverleibt. Die Be-
hauptung klingt vielleicht etwas fremd-
artig, weil man gerade bei den Bauern
so oft die prachtvollsten Schränke findet
und viele in unseren Sammlungen aus
solchem Besitze stammen; sie sind aber
erst in einer Zeit, in der das sich aus-
breitende Rokoko so manches Erbstück
auf den Edelhöfen unmodern machte,
in die Bauernstube gelangt. Das Rokoko
machte auch die Kommode, für die der
Deutsche nicht einmal einen eigenen
Ausdruck in seinem Wortschätze fand,
bei uns heimisch. So gelangte sie auch
in das Bauernhaus und damit ist die
Erscheinung, daß die älteren Bauern-
kommoden meist ausgesprochene Rokoko-
formen zeigen, erklärt. Sind somit
beide Möbel als der Bauernwohnung
ursprünglich nicht angehörig zu be-
trachten, so ist doch das Bedürfniß nach
in die pöhe strebenden Kastenmöbeln
vorhanden gewesen. So findet man in
Norwegen vielfach büffetartigeSchränke,
die, meist in üppigen Rokokoformen ge-
bildet, doch noch häufig Erinnerungen
an einen gothischen Ursprung auf-
weisen. Sie gleichen in ihrer Einrich-
tung unseren Küchenschränken, deren
edle Urahnen sie vielleicht waren. Ueber-
haupt sind in der Bauernwohnung
mancherlei gothische Einflüsse festge-
halten, die sich weniger in den Detail-
formen als in der Zusammensetzung
dieser und in den technischen Prozeduren
zeigen. Die Renaissance hat sie nicht
zurückdrängen, sondern nur läutern
können, und darin liegt vielleicht der
große Reiz, den sie auf unseren Ge-
schmack ausüben.

Das sind Eigenthümlichkeiten, die
bei einer modernen Perstellung solcher
Möbel nicht außer Acht gelassen werden
dürfen. Zu ihnen treten aber noch die
Nützlichkeitsrücksichten und die Auswahl
der Materialien, welche für die länd-
lichen Möbel karakteristisch sind. Der
Bauer kennt nicht die vielen Bequem-
urit Erkers, im Rokoko-Stil. lichkeitsanforderungen des verweichlich-

fmöbelfcibrik von A. Bembs. Mainz. ten Städters; seine Sitzmöbel sind

darum, mit Ausnahme der für die Alten
bestimmten, durchaus nicht allzubequem eingerichtet. Eine ebene Polzplatte als Sitz,
eine solche als Rücklehne, sind die wesentlichen Bestandtheile derselben, die in seltenen
Fällen durch Bastgeflecht etwas komfortabler gemacht werden. Wie bei diesen
Möbeln, so sind auch bei allen anderen Dauerhaftigkeit, einfache Konstruktion und
strengste Zweckerfüllung die Pauptsache. Ein an den Wänden umlaufendes Brett
genügte zur Aufstellung der wenigen Bücher geistlichen oder landwirthschaftlichen
Inhalts, der Zinn- oder Fayenceteller, der Krüge oder — der Rasierutensilien, die
in jeder Wohnung sichtbar platzirt wurden. Was der Bauernwohnung aber an
Bequemlichkeit abging, wurde durch den einfachen Konstruktionsgedanken, der bei
allen Möbeln klar zu erkennen war und durch die karaktervolle Technik vollauf
ersetzt. Namentlich ist die erste ein Zeichen gesunder Stilempfindung. Die Tische,
Stühle und Bänke, die Truhen usw., die schon seit Generationen im Gebrauch
sind, haben in der Regel nichts von ihrer Dauerhaftigkeit eingebüßt. Wo senkrechte
Streben auftreten, sind sie durch Konsolen oder verbindende Leisten in ihrer Festigkeit
erhöht, wo Profile auftreten, sind diese nicht in den Kern des polzes hinein-
geschnitten, sondern innerhalb der durch Tragfähigkeit bedingten Grenzen gehalten.
 
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