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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 6.1895

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Die kommenden Tapeten-Muster
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https://doi.org/10.11588/diglit.6759#0106

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Seite 76.

Zllustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Znnen-Dekoration.

Mai-Heft.

konrmelwen Mapeten-^Mllstee.

ie das entsteht, was wir Mode nennen, der Tages-
geschmack, die Norm, die von keinem Einzelnen aus-
geht und doch unerbittlich auf ihrer Ansicht beharrt:
dies gefällt, jenes gefällt nicht — darüber haben sich schon viele
Leute den Kopf zerbrochen, ohne die volle Lösung des Räthsels
zu finden. Auch wir beanspruchen nicht, eine solche bieten zu
können. Zu vielfach verschlungen sind die Fäden, zu schwer
erkennbar die mannigfachen
Theile und Theilchen, aus
denen sich das wunderliche
Gewebe: die Mode, zu-
sammensetzt, als daß es
einem kurzen Zournal-
artikel gelingen könnte, der
Sache ganz auf den Grund
zu kommen. Aber An-
deutungen und Hinweise
lassen sich immerhin geben,
und das soll in Folgendem
versucht werden.

Daß die Mode das
Ergebniß der Wechselwir-
kung vieler Kräfte ist, daß
sie nicht von Einzelnen
diktirt, oder, um den land-
läufigen Ausdruck zu ge-
brauchen: nicht „gemacht"
werden kann, dürfte un-
widerleglich sein. Mir er-
fahren das am besten an
Epochen, wo der künstle-
rische Geschmack im Nie-
dergang begriffen ist. Alles
sträuben einzelner Kunst-
verständiger hilft dann
nichts. Es ist ein Schwim-
men gegen den Strom,
dem auf die Dauer Nie-
mand gewachsen ist. Wider
die herrschende Mode, wenn
sie eine geschmacklose, an-
zukämpfen, wird immer
ein verdienstliches Unter-
nehmen sein, aber auch
immer ein sehr schwieriges;
ein erfolgreiches nur dann,
wenn der Kampf von
Seiten der Gpponnenten
mit Einsicht in das Wesen
der Mode geführt wird. Abbildung Nummer 9-4. Salon-Tapete
Ein direkter Vorstoß, ein

noch so wuchtiges Anstürmen gegen die Unfaßbare, bleibt stets
eine Von tznixoterls. Die Windmühlenflügel der öffentlichen
Meinung zermalmen den thörichten Ritter, der obendrein noch
ausgelacht wird. Ein Beispiel lieferte der angesehene Aesthetiker
Bischer, als er es, vor ungefähr sä Zähren, unternahm, auf
eigene Faust mit gröbstem Geschütz gegen die Ausschreitungen des
damaligen Geschmacks ins Feld zu ziehen. Seine Argumente
waren unanfechtbar, die Absicht die edelste — und dennoch ging
die Mode ruhig lächelnd ihren wunderlichen Weg weiter und
ber Aesthetiker ward ausgelacht; sein Aufsatz verpuffte.

Also mit Gewalt, auch mit geistiger, ist nichts gegen die

Mode auszurichten. Sehr viel mehr mit List. Und dies sollte
mehr beachtet werden. Nöthig ist zunächst, Einfluß auf die Mode
zu gewinnen und die Möglichkeit eines solchen ist allerdings vor-
handen. Publikum, Tapezierer, Dekoratör, Händler, Reisender,
Fabrikant und Zeichner können sämmtlich beeinflussend auf die
Mode fein und sind es zumeist auch. Am nachhaltigsten wirken
sie durch leise, fast unmerkliche Ummodelung des herrschenden
Geschmacks. Denn das ist eine Eigenart der Mode: sie wird
sofort kopfscheu und widerspenstig, wenn sie die Absicht einer
groben Beeinflussung verspürt. Dagegen ist sie zarten Wandlungen,

sanftem Hinüberleiten, sehr
zugänglich. Und ununter-
brochen sind Tausende be-
schäftigt, solche leichte
Wandlungen in der Mode
herbeizuführen. Wie das
geschieht, wie die Kräfte
wechselsweise aufeinander-
wirken, daß sie, die kom-
mende Mode, entsteht,
soll in Folgendem zu schil-
dern versucht werden, und
zwar unter spezieller Be-
rücksichtigung der Tapeten-
Zndustrie, die uns hier
allein interessirt, weshalb
wir auch folgerichtig den
Aufsatz: „die kommenden
Tapeten-Muster" betiteln.

Der Vorgang des Ent-
stehens und Vertriebs der
Tapetenmuster ist äußer-
lich sehr einfach: der Zeich-
ner bietet seine Muster dem
Fabrikanten an, dieser
wählt daraus, was ihm
passend dünkt, läßt die ge-
wählten Muster ausführen
und von seinen Reisenden
den Händlern anbieten;
von diesen entnimmt das
Publikum seinen Bedarf,
indem es dabei Dekoratör
und Tapezierer zu Rathe
zieht.— Wie aber kommt
es, daß der Zeichner nur
eine ganz bestimmte Art
von Mustern anfertigt und
unter diesen auch nur ge-
wisse, in einem bestimmten
Geschmack gehaltene, zu
verkaufen vermag? Daß
im Empirestil von Zuber L Lie. der Fabrikant durch seine

Reisenden nur Muster dieser
bestimmten Art los wird und Dekoratöre, Tapezierer und Publikum
wiederum nur derartige Muster und keine andere wählen? Hier
handelt es sich entschieden um einen Zwang, ein Gesetz, dem
alle: Zeichner und Fabrikant, Verkäufer und Käufer, unterliegen,
dem sie sich wohl oder übel fügen müssen. Sehen wir uns also
den Vorgang etwas näher und auf seine inneren Triebfedern an.

Hauptgrundlage der kommenden Mode ist die augenblicklich
bestehende, so ungeheuer verschieden auch zuweilen das Bild jener
dieser gegenüber sich ausnehmen mag. Dies zu betonen, ist nicht,
wie Manche meinen könnten, überflüssig. Das Faktum ist sehr
wichtig, weil es die Sicherheit gewährt, daß die Mode, trotz
 
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