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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 7.1896

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Mielke, Reinhard: Die "Wilhelma" in Cannstatt
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https://doi.org/10.11588/diglit.7394#0109

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Mai-Heft. Illustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Innen-Dekoration. Seite 77.

Mhelma" bei Mannstatt.

z

;uch die orientalischen Stilarten unseres Jahrhunderts,
soweit sie sich in der Innen-Dekoration ein Held eroberten,
haben an der Wandlungsfähigkeit desselben vollauf
theilgenommen. Auch sie treten aus ihrer ursprünglich dürftigen,
mageren Bescheidenheit heraus, die für sie in den Augen europä-
ischer Betrachter karakteristisch war. Mit dem Hereinströmen
frischen Lebens in die Kunst Europas, das man in ungefährer
Rechnung in den Beginn des letzten Viertels desselben legen darf,
beginnen die strengen
Stilgesetze,welche von
G. Semper zuerst
mit Nachdruck betont
und von den Englän-
dern vorzugsweise
vertreten wurden, ihre
ursprünglich wahr- >

Haft segensreiche,
dann aber tyrannisi-
rende Herrschaft zu
verlieren. An ihre
Stelle traten, beein-
flußt von der wissen-
schaftlichen Erschlie-
ßung des Grientes,
eine Benutzung und
Hruktifizirung orien-
talischer Motive,
welche wenigstens
zum Theil auf un-
sere Bedürfnisse, auf
unser Behagen Rück-
sicht nahmen. Von
sehr großer Bedeu-
tung wurde dann
weiterhin der Nieder-
gang der Kunst-Industrien des Morgenlandes, der immer mehr
zerstörend eindringt und jetzt schon so weit gediehen ist, daß von
den besseren Produkten desselben in europäischen Fabriken
oder wenigstens unter der Leitung europäischer Werkleute und
unter Berücksichtigung maschineller Kräfte hergestellt werden.

Zu den besten Denkmälern des strengen Stiles gehört in
Deutschland die „Wilhelma" bei Eannftatt, welche im Iuni-
Heft s8si5 der „Zeitschrift für Innen-Dekoration" und in dem
vorliegenden Hefte abbildlich vorgeführt ist. Für die Architekten,
welche in der Mitte unseres Jahrhunderts sich der maurischen
Kunst zuwandten, begann sich damals das geheimnißvolle Dunkel,
das auf der ganzen Kunst des Morgenlandes lastete, zu lichten;
noch aber waren die Alhambrakunst und die des in den politischen
Vordergrund gerückten Pharaonenlandes die ästhetischen Pole,
zwischen denen sich die Hormempfindung ihrer Zeit die Motive
suchen mußte; und noch wagte man nicht, auch dieser Kunst

Abbildung Nummer 25;. Dalle aus

eine selbständige Raumgestaltung zuzugestehen. Mit
anderen Worten: man zögerte noch, der Kunst des Islam eine
mehr als ornamentale, „arabeskenhafte" Bedeutung beizulegen.

Das muß man im Auge behalten, will man der Kunst der
„Wilhelma" gerecht werden. Sie ist ein Werk für sich, ein Kunst-
werk, das als solches nicht allein mit dem Maßstab des hohen
künstlerischen Könnens ihres Erbauers gemessen werden muß,
sondern das voll und ganz auf dem Boden seiner Zeit steht.
Erst von diesem Standpunkt offenbart sie in ihrer künstlerischen
Vornehmheit eine so überreiche Hülle geistreicher Erfindung, daß
sie aus den gleichzeitigen Baudenkmälern herausgehoben und zu

einem geschichtlichen
Werk wird. Das
Wort „vornehm"
drückt ungefähr das
aus, was diese „Wil-
helma"-Kunst von
der echt-maurischen
trennt, vornehm im
Sinne von „über-
legen", „maßvoll",
„rhythmisch", Be-
griffe, die dem Grient,
soweit der Schreiber
ihn aus eigener
Kenntniß kennen ge-
lernt hat, fernliegen.
Dafür besitzt dieser
in der Sonne einen
Haktor, der auf seine
Kunst einen Einfluß
ausgeübt hat, den
wir im nördlichen
Europa nicht nach-
ahmen können, und
Schloß Mainau, vergl. Text Seite ?8. der für die Gestal-

tung des maurischen
Innenraumes von

wesentlichster Bedeutung geworden ist. Er treibt dahin, die Licht-
öffnungen möglichst zu verringern, die Mauern in ihrer Massivität
überall zu verstärken, um ihre kühlende Eigenschaft ausgiebig zu
benützen und dem gesammten Hause eine nach innen gerichtete,
zentripetale Tendenz zu geben. Das lauschige, geheimnißvolle
Weben dämmernden Lichtes in diesen so geschloffenen Räumen
verträgt gut das unvermittelte Gegensätzliche, das durch das
prunkbedürfniß des Mauren hervorgerufen wird und hier in
dieser Umgebung zu einer milden Harmonie sich zusammenfindet.
Der Erbauer der „Wilhelma" hat vermieden, gerade dieses Motiv
für sein Werk auszunützen und so zu einem billigem aber wirkungs-
vollem Mittel zu greifen; er hat vorgezogen, den Lichtbedürfnisfen
unserer nördlichen Breiten zu genügen und so versucht, die
maurische Kunst hier heimisch zu machen.

Ich fühle mich veranlaßt, diese Bemerkungen hier zu machen,
weil das württembergische Schloß, wie es sich auf den Abbil-
 
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