Leite ssH.
Zllustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Znnen-Dekoration.
Juli-Heft.
^Mas deutsch^ -Munstgewerbh und die englisch-amerikanische Bewegung.
von Richard Streiter.
Wie lange sind wir unter der Herrschaft der Pariser Mode auf hohen,
spitzen Absätzen mit allen möglichen Beschwerden herumgestiegen,
weil wir uns einbildeten, ein Fuß ohne hohe Stöckel sei nicht schön! Die
Abbildung Nr. 290.
Beleuchtungskörper.
Skizze von G. Dedreux.
KWMW-
7/WD
Engländer mußten kommen und uns zeigen, daß mau viel sicherer und
freier geht, wenn man die Sohle flach auf den Boden setzen kann; so hat
sich der niedere englische Absatz überall Eingang verschafft, selbst in Paris,
wo man doch so viel auf einen zierlichen Fuß hält. Und die englischen
Waschschüsseln! Gibt es etwas einfacheres als dieses Gefäß, das nur den
Zweck zu erfüllen hat, viel Wasser zu fasse» und zum Maschen eine breite
Oberfläche zu bieten? Und doch mußten erst die Engländer uns die richtige
Form für diesen alltäglichsten Gebrauchsgegenstand bringen. Was hatten
wir in Deutschland früher für kümmerliche, kleine, unpraktische Waschbecken!
Ueber die Vorzüge der wasserklosets ein Mort zu verlieren, ist überflüssig.
Auch mit dieser Wohlthat fortgeschrittener Kultur haben uns die Engländer
beglückt. Diese Dinge sind Kleinigkeiten; aber sie sind doch sehr lehrreich.
Sie lassen deutlich einen karakteristischen Gruudzug in der englischen Lebens-
führung erkennen, den Sinn für das Sachliche, Zweckdienliche, Behagliche,
Gesundheitsförderliche. Dieser Sinn aber, der sich in allem zeigt, was man
englischen Komfort nennt, prägt sich auch im englischen Kunsthandwerk aus
und verleiht ihm hauptsächlich jene überzeugende Kraft, womit es sich
allenthalben Geltung verschafft. Jur vollen Würdigung dieser Vorzüge läßt
erst die Kenntniß der Einrichtung des englischen und amerikanischen Familien-
Hauses gelangen. Ls muß hier genügen, aus Werke zu verweisen, die diese
schildern, so aus Dohme's vorzügliches Buch „Das englische Haus", auf das
dreibändige amerikanische Werk „^.rtistio lionsss". Wir Deutsche können
und sollen viele Eigenthümlichkeiten der englischen und amerikanischen
Wohnungen nicht nachahmen, weil sie für unsere Verhältnisse nicht passen,
aber wir können doch manches von dorther lernen, vor allem das eine,
allgemeinste: die Forderungen der Zweckmäßigkeit, der Sachlichkeit, der
Bequemlichkeit, der Hygiene bei unserer Wohnungsausstattung weitgehender
zu berücksichtigen, als dies bisher zu geschehen pflegte. In dieser Richtung
wird bei uns noch viel und schwer gesündigt, wie viele Häuser werden
noch gebaut, die dem Aeußeren, den Fagaden zuliebe im Inneren unpraktisch
eingetheilt sind! wie viele Zimmer werden noch eingerichtet nur mit
Rücksicht aus die Wirkung der Möbel, nicht mit Rücksicht auf die Bequem-
lichkeit der Bewohner! Wie viele Stühle werden noch gemacht, die „stilvoll"
und reich verziert sind, auf denen man aber schlecht sitzt! wie viele Gefäße
gibt es noch, die mit getriebenen, gepreßten, gemalten Ornamenten üppig
überzogen sind, deren Größe und Grundform aber ihrer Bestimmung wenig
entsprechen, deren Henkel sich unhandlich anfassen u. s. w.! Nun kann man
bei uns häufig der Auffassung begegnen, die starke Betonung des Zweck-
dienlichen, des Sachlichen dränge das künstlerische Element zurück; ja es
werden Stimmen laut, die die Befürchtung aussprechen, das deutsche Kunst-
gewerbe gehe unter englischen Einflüssen durch einseitige Berücksichtigung
des Praktischen der Gefahr entgegen, in die Nüchternheit des frühen
Klassizismus (etwa um ;800) wieder zu verfallen. Dem ist entgegeuzuhalten,
daß Erfüllung der praktischen Anforderungen durchaus nicht Nüchternheit
bedingt, daß die Nüchternheit des frühen Klassizismus keineswegs aus der
zu starken Betonung des Zweckmäßigen entsprang, sondern aus dem Streben
nach „klassischer Ruhe", nach jener Pseudo-Monumentalität, die die Leistungen
der bürgerlichen Baukunst und des Kunstgewerbes in die kalte Region eines
falschen Pathos emporhob und die Rücksichten auf Sachlichkeit, Bequemlichkeit
und Behaglichkeit oft völlig beiseite setzte. Wenn manche der modernen
englischen Möbel an Empire-Möbel stark anklingen, so erklärt sich dies daraus,
daß eben jetzt der Empire-Stil in England ebenso Mode ist, wie in Frankreich
und für die elegante Welt auch bei uns in Deutschland. Doch hängt diese
Empire-Mode mit den ernsten und tiefgehenden kunstgewerblichen Bestrebungen
in England direkt gar nicht zusammen. Uebrigens sind doch die Empire-
Möbel nur Nachbildungen des antiken Kunstgewerbes, manche Stuhlformen
z. B. sind ziemlich genaue Nachahmungen antiker Stühle. Der Vorwurf der
Nüchternheit trifft also eigentlich das antike Kunstgewerbe. In der That
war das antike Kunstgewerbe sparsamer mit rein dekorativem Beiwerk, es
behielt schärfer die Zweckmäßigkeitssorderungen im Auge, als das Kunst-
gewerbe der Gothik, der deutschen Renaissance, des Barock und Rokoko. Aber
ist dies ein Nachtheil? Sind die meisten der uns erhaltenen kunsthand-
werklichen Gegenstände der Antike nicht trotz ihrer Sachlichkeit und Einfachheit
außerordentlich schön? Gerade sie beweisen, daß Sachlichkeit, Zweckdienlichkeit
und künstlerische Durchbildung sich nicht ausschließeu, sondern daß ihro
Vereinigung die wahre Vollendung ausmacht, von dieser Lrkenntniß ist
man bei uns in Deutschland noch nicht genügend durchdrungen; beim
Publikum, wie bei den ausführeuden Kräften gilt noch vielfach der Satz: je
mehr an einem Gegenstand Dekoratives daran ist, desto künstlerischer ist er.
Es wird bei uns noch zu viel dekorirt, zu wenig tektonisch gestaltet. Die
Engländer und Amerikaner sind deßhalb in manchen Dingen vor uns voraus,
weil sie die zu lösenden Aufgaben unbefangener, frischer und in Bezug auf
das Praktische gründlicher angepackt haben, ohne deßhalb die künstlerische
Seite zu vernachlässigen.
In engem Zusammenhang mit diesen Vorzügen des englischen und
amerikanischen Kunstgewerbes steht eine Ligenthümlichkeit desselben, die
mehr noch in der Kunstindustrie sehr vortheilhast sich geltend macht: das ist
die Art, wie spezifisch moderne Techniken in praktischer und künstlerischer
Beziehung ausgenützt werden, wie auch sehr spröden Techniken künstlerische
Reize abgewon-
nen werden. Hier
ist vor allem der
gewaltigen Um-
Wälzungen zu ge-
denken, die auf
allen Gebieten
des Handwerks
und der Industrie
durch die Aus-
breitung der Ma-
schinen verursacht
worden sind. Die
Maschine ist der
Todfeind des
Kunstgewerbes,
hat man, in ge-
wissem Sinne
wohl mit Recht,
gesagt. Es ist ja
leider nur allzu
wahr, daß durch
die mittelst der
Maschinen er-
möglichte Massen-
produktion bil- Abbild, zy;. Beleuchtungskörper. Skizze von V. Dedreux^
liger Dutzend-
waare einestheils
dem Kunsthandwerk vielfach der Boden entzogen, anderntheils der Geschmack
des Publikums bedenklich verdorben wird. Die Klagen über diese bedauer-
lichen Folgen der Maschiuenfabrikation nehmen denn auch in Walter Lrane's
Buch „Die Forderungen der dekorativen Kunst" einen breiten Raum ein.
Doch mit Klagen allein wird nichts gebessert. Walter Lrane aber und die
ihm gleichstrebenden englischen Künstler haben gezeigt, wie gebessert werden
kann. Ls gilt vor allem, da, wo es irgendwie möglich ist, die Handarbeit
der Maschine gegenüber zu behaupten, das Kunsthandwerk der Maschinen-
Zllustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Znnen-Dekoration.
Juli-Heft.
^Mas deutsch^ -Munstgewerbh und die englisch-amerikanische Bewegung.
von Richard Streiter.
Wie lange sind wir unter der Herrschaft der Pariser Mode auf hohen,
spitzen Absätzen mit allen möglichen Beschwerden herumgestiegen,
weil wir uns einbildeten, ein Fuß ohne hohe Stöckel sei nicht schön! Die
Abbildung Nr. 290.
Beleuchtungskörper.
Skizze von G. Dedreux.
KWMW-
7/WD
Engländer mußten kommen und uns zeigen, daß mau viel sicherer und
freier geht, wenn man die Sohle flach auf den Boden setzen kann; so hat
sich der niedere englische Absatz überall Eingang verschafft, selbst in Paris,
wo man doch so viel auf einen zierlichen Fuß hält. Und die englischen
Waschschüsseln! Gibt es etwas einfacheres als dieses Gefäß, das nur den
Zweck zu erfüllen hat, viel Wasser zu fasse» und zum Maschen eine breite
Oberfläche zu bieten? Und doch mußten erst die Engländer uns die richtige
Form für diesen alltäglichsten Gebrauchsgegenstand bringen. Was hatten
wir in Deutschland früher für kümmerliche, kleine, unpraktische Waschbecken!
Ueber die Vorzüge der wasserklosets ein Mort zu verlieren, ist überflüssig.
Auch mit dieser Wohlthat fortgeschrittener Kultur haben uns die Engländer
beglückt. Diese Dinge sind Kleinigkeiten; aber sie sind doch sehr lehrreich.
Sie lassen deutlich einen karakteristischen Gruudzug in der englischen Lebens-
führung erkennen, den Sinn für das Sachliche, Zweckdienliche, Behagliche,
Gesundheitsförderliche. Dieser Sinn aber, der sich in allem zeigt, was man
englischen Komfort nennt, prägt sich auch im englischen Kunsthandwerk aus
und verleiht ihm hauptsächlich jene überzeugende Kraft, womit es sich
allenthalben Geltung verschafft. Jur vollen Würdigung dieser Vorzüge läßt
erst die Kenntniß der Einrichtung des englischen und amerikanischen Familien-
Hauses gelangen. Ls muß hier genügen, aus Werke zu verweisen, die diese
schildern, so aus Dohme's vorzügliches Buch „Das englische Haus", auf das
dreibändige amerikanische Werk „^.rtistio lionsss". Wir Deutsche können
und sollen viele Eigenthümlichkeiten der englischen und amerikanischen
Wohnungen nicht nachahmen, weil sie für unsere Verhältnisse nicht passen,
aber wir können doch manches von dorther lernen, vor allem das eine,
allgemeinste: die Forderungen der Zweckmäßigkeit, der Sachlichkeit, der
Bequemlichkeit, der Hygiene bei unserer Wohnungsausstattung weitgehender
zu berücksichtigen, als dies bisher zu geschehen pflegte. In dieser Richtung
wird bei uns noch viel und schwer gesündigt, wie viele Häuser werden
noch gebaut, die dem Aeußeren, den Fagaden zuliebe im Inneren unpraktisch
eingetheilt sind! wie viele Zimmer werden noch eingerichtet nur mit
Rücksicht aus die Wirkung der Möbel, nicht mit Rücksicht auf die Bequem-
lichkeit der Bewohner! Wie viele Stühle werden noch gemacht, die „stilvoll"
und reich verziert sind, auf denen man aber schlecht sitzt! wie viele Gefäße
gibt es noch, die mit getriebenen, gepreßten, gemalten Ornamenten üppig
überzogen sind, deren Größe und Grundform aber ihrer Bestimmung wenig
entsprechen, deren Henkel sich unhandlich anfassen u. s. w.! Nun kann man
bei uns häufig der Auffassung begegnen, die starke Betonung des Zweck-
dienlichen, des Sachlichen dränge das künstlerische Element zurück; ja es
werden Stimmen laut, die die Befürchtung aussprechen, das deutsche Kunst-
gewerbe gehe unter englischen Einflüssen durch einseitige Berücksichtigung
des Praktischen der Gefahr entgegen, in die Nüchternheit des frühen
Klassizismus (etwa um ;800) wieder zu verfallen. Dem ist entgegeuzuhalten,
daß Erfüllung der praktischen Anforderungen durchaus nicht Nüchternheit
bedingt, daß die Nüchternheit des frühen Klassizismus keineswegs aus der
zu starken Betonung des Zweckmäßigen entsprang, sondern aus dem Streben
nach „klassischer Ruhe", nach jener Pseudo-Monumentalität, die die Leistungen
der bürgerlichen Baukunst und des Kunstgewerbes in die kalte Region eines
falschen Pathos emporhob und die Rücksichten auf Sachlichkeit, Bequemlichkeit
und Behaglichkeit oft völlig beiseite setzte. Wenn manche der modernen
englischen Möbel an Empire-Möbel stark anklingen, so erklärt sich dies daraus,
daß eben jetzt der Empire-Stil in England ebenso Mode ist, wie in Frankreich
und für die elegante Welt auch bei uns in Deutschland. Doch hängt diese
Empire-Mode mit den ernsten und tiefgehenden kunstgewerblichen Bestrebungen
in England direkt gar nicht zusammen. Uebrigens sind doch die Empire-
Möbel nur Nachbildungen des antiken Kunstgewerbes, manche Stuhlformen
z. B. sind ziemlich genaue Nachahmungen antiker Stühle. Der Vorwurf der
Nüchternheit trifft also eigentlich das antike Kunstgewerbe. In der That
war das antike Kunstgewerbe sparsamer mit rein dekorativem Beiwerk, es
behielt schärfer die Zweckmäßigkeitssorderungen im Auge, als das Kunst-
gewerbe der Gothik, der deutschen Renaissance, des Barock und Rokoko. Aber
ist dies ein Nachtheil? Sind die meisten der uns erhaltenen kunsthand-
werklichen Gegenstände der Antike nicht trotz ihrer Sachlichkeit und Einfachheit
außerordentlich schön? Gerade sie beweisen, daß Sachlichkeit, Zweckdienlichkeit
und künstlerische Durchbildung sich nicht ausschließeu, sondern daß ihro
Vereinigung die wahre Vollendung ausmacht, von dieser Lrkenntniß ist
man bei uns in Deutschland noch nicht genügend durchdrungen; beim
Publikum, wie bei den ausführeuden Kräften gilt noch vielfach der Satz: je
mehr an einem Gegenstand Dekoratives daran ist, desto künstlerischer ist er.
Es wird bei uns noch zu viel dekorirt, zu wenig tektonisch gestaltet. Die
Engländer und Amerikaner sind deßhalb in manchen Dingen vor uns voraus,
weil sie die zu lösenden Aufgaben unbefangener, frischer und in Bezug auf
das Praktische gründlicher angepackt haben, ohne deßhalb die künstlerische
Seite zu vernachlässigen.
In engem Zusammenhang mit diesen Vorzügen des englischen und
amerikanischen Kunstgewerbes steht eine Ligenthümlichkeit desselben, die
mehr noch in der Kunstindustrie sehr vortheilhast sich geltend macht: das ist
die Art, wie spezifisch moderne Techniken in praktischer und künstlerischer
Beziehung ausgenützt werden, wie auch sehr spröden Techniken künstlerische
Reize abgewon-
nen werden. Hier
ist vor allem der
gewaltigen Um-
Wälzungen zu ge-
denken, die auf
allen Gebieten
des Handwerks
und der Industrie
durch die Aus-
breitung der Ma-
schinen verursacht
worden sind. Die
Maschine ist der
Todfeind des
Kunstgewerbes,
hat man, in ge-
wissem Sinne
wohl mit Recht,
gesagt. Es ist ja
leider nur allzu
wahr, daß durch
die mittelst der
Maschinen er-
möglichte Massen-
produktion bil- Abbild, zy;. Beleuchtungskörper. Skizze von V. Dedreux^
liger Dutzend-
waare einestheils
dem Kunsthandwerk vielfach der Boden entzogen, anderntheils der Geschmack
des Publikums bedenklich verdorben wird. Die Klagen über diese bedauer-
lichen Folgen der Maschiuenfabrikation nehmen denn auch in Walter Lrane's
Buch „Die Forderungen der dekorativen Kunst" einen breiten Raum ein.
Doch mit Klagen allein wird nichts gebessert. Walter Lrane aber und die
ihm gleichstrebenden englischen Künstler haben gezeigt, wie gebessert werden
kann. Ls gilt vor allem, da, wo es irgendwie möglich ist, die Handarbeit
der Maschine gegenüber zu behaupten, das Kunsthandwerk der Maschinen-