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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 7.1896

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Schliepmann, Hans: Von der Berliner Gewerbe-Ausstellung, [2]
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Dezember-Heft.

Zllustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für^Znnen-Dekoration.

Seite 2f7.

MN dee Berliners «ewerbe-Musstellung.

von Hans Schliepmann.

II. Annen-Dekorationen.

'onnenschein und Regen sind seit meinem ersten Bericht über die
längst fertiggewordene Ausstellung herabgefluthet. Sonnenschein
und Regen, auch bildlich gesprochen! Man hat geschwärmt und
gelästert; der Arbeitsausschuß hat glänzende Beleuchtungen veranstaltet und
empörende Ungeschicklichkeiten begangen; Kassen füllten
sich und blödsichtige Spekulationen verkrachten;

die Fremden sind gekommen-aber von

einem Weltausstellungserfolg ist je
länger desto weniger die Rede. —

Ich führe das an, um die Lehre
daraus zu ziehen, daß eine
Ausstellung nicht zu einer
großen Vogelwiese ge
macht werden darf,
wenn sie anders einen
ernsten Zweck verfol-
gen will. Wendet
man freilich da-
rauf nun ein, daß
ohne diesen Ap-
parat die Ausstel-
lung keinen finan-
ziellen Erfolg
hätte, so bleibt
nichts, als über
die ganze Ausstel-
lungsseuche die
Achseln zu zucken.

Der Nutzen steht
in gar keinem
verhältniß mehr
zudemAufwande,
es sei denn, daß
man den Nutzen
der Bierverschen-
ker usw. allein
maßgebend sein
läßt. Und trotz-
dem vermag die
Ausstellung zu
belehren, wenn
man ihr die nö-
thigeZeit widmet
und den Lockun-
gen von hüben
und drüben wi-
derstehen kann.

wenn man nur schürfen kann unter allerlei Aufdringlichem, Protzenhafte,n,
Talmimäßigem, so findet man doch eine Berliner Industrie, die „sich
sehen lassen kann", und man bemerkt, daß die lärmende Weltstadt zwischen
allen Strudeln des Vergnügens und bei allen Nervenerschütterungen dennoch
ernst zu arbeiten versteht, ja unleugbar auf vielen Gebieten tüchtig voran-
gekommen ist. Wer ohne vorgefaßte Meinung zu prüfen sucht, wird
gestehen müssen, daß die technische Fertigkeit und die Solidität der Werkstoffe
auf recht vielen Gebieten gegen früher erheblich zugenommen hat.

Allerdings, auf dem Gebiete des Geschmackes hat es Berlin noch nicht
zu der führenden Stellung gebracht wie etwa in der chemischen Industrie, im
Maschinenbau (der übrigens nur höchst lückenhaft vertreten ist) und in
Präzisionsinstrumenten. Geschmack und Aftergeschmack, d. h. „Mode", sind

Abbildung Nummer H8S. Fenster-Ecke mit eingebautem Sofa und Schränkchen.

hier noch immer Import oder doch mindestens Treibhauspflanzen, wie der
„Straßenschmuck", den man zur Feier der Ausstellungserösfnung aus Brettern,
Gips, Leinwand, Fähnchen und Palmblättern in Form von Gbelisken und
unglaublich häßlichen Flaggenmasten zusammengeschlagen hatte und der nun
verfallen und zerzaust wie verspätete Masken am Aschermittwoch an den
Straßenecken nach Treptow zu emxorstarrt, so ist im
Allgemeinen der Berliner in seinen Geschmacks-
empfindungeu. Außen gefirnißt nach neuester
Mode, doch ohne persönliches Ver-
halten zu Schönheitsfragen. —
Wenn's man nach was aus-
sieht" ist die Devise, bei der
die Schnndbazare gedeihen,
nach der Berlin wohnt
und sich kleidet. Bei
solcher äußerlichen
Modenachbeterei,die
noch dazu vor den
schlimmsten Surro-
gaten nicht zurück-
schreckt, kann es
natürlich eine
eigene Lntwicke-
lung des Ge-
schmacks nicht
geben, zumal auch
eine reiche und
dabei wirklich ge-
bildete Aristokra-
tie nicht zahlreich
genug bei uns
vertreten ist, um
aufdas kleinkünst-
lerische Schaffen
einzuwirke». So
finden wir denn
überall, wo trotz
dieser beklagens-
werthen Allge-
meinzustände
wirklich etwas
ästhetisch werth-
volles geleistet
wird, den Ate-
lier - R ü n st l e r
hinter den Kulis-
sen. Der Kunst-
gewerbs < Meister

selbst baut höchstens aus seinen Vorlagenwerken irgend ein modernes Geräth
zusammen; originell, oder auch nur selbständig im Geschmack zu sein,
wagt unter Hunderten kaum Einer.

An all jener schönen Atelierkunst haftet dann trotz alledem wieder und
wieder doch der Duft der Stndierstube; von dieser aus jedoch dringt niemals
etwas recht in's Volk hinein. Freilich ist von vorn herein irgend eine
Einwirkung der Kunst auf das Volk nicht mehr zu hoffen. Brei gibt keinen
Widerhall, und das Volk ist heutzutage in künstlerischer Hinsicht nur Brei.

Ich durfte diese allgemeine Sachlage in meiner Neujahrsbetrachtung
im Januarheft dieser Zeitschrift ausführlicher darlegen und kann jetzt nur
hinzufügen, daß ein gründliches Studium der Berliner Gewerbe-Ausstellung
mich — leider! — noch in keinem Punkte in's Unrecht zu setzen vermochte.
 
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