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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 8.1897

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Zimmermann, Ernst: Die Kunst auf der Berliner Gewerbe-Ausstelllung
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https://doi.org/10.11588/diglit.7395#0071

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Februar-Heft.

Illuslr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Znnen-Dekoration.

Leite ^5.

von vr. Ernst Zimmermann. iversxät-t.)

rst eine Weltausstellung, dann eine nationale, zum Schluß eine
lokale: das ist das Schicksal der Berliner Ausstellung gewesen,
die vergangenes Jahr so viel des Redens von sich gemacht und alle
ihre Konkurrentinnen aus dem Leide geschlagen hat. Groß fing sie an und
klein hat sie geendet! von ihrem ersten Ausgang hat nur noch die Weite
des Terrains und die Zahl jener dem Amüsement gewidmeten Anhängsel
gezeugt, ohne die ein solches gemeinnütziges Unternehmen jetzt überhaupt
nicht mehr existenzfähig erscheint. Ausstellungen sind mehr oder weniger die
Jahrmarktsinessen unseres Jahrhunderts geworden.

Und dieser Anhängsel bedurfte diese Ausstellung vielleicht mehr als
manche andere um zugkräftig zu werden für ein größeres Publikum. Was
dieses heutzutage allein noch in seiner Blasirtheit auf solchen Ausstellungen
wirklich zu fesseln vermag, ist die Schaustellung von Kunst in jeglicher Form,
die man gleich an Grt und Stelle zu verstehen und zu genießen vermag,
nicht jene tausende und abertausende von Gegenständen, die dem praktischen
Leben gewidmet sind, aber auch erst in diesem gewürdigt werden können.
Wie es mit letzteren Dingen hier aus dieser Ausstellung stand, braucht hier
nicht gesagt zu werden; was aber die Kunst anbetrisst, so hat sich hier nur
wieder bestätigt, was man schon lange wußte: daß unsere Reichshauptstadt
noch immer kein Paris ist und wohl noch lange nicht ein solches werden
wird. Das gilt nicht blos für die bildenden Künste, das gilt für jegliche
Kunst schlechtweg. Nirgends hat Berlin in dieser Beziehung bis jetzt eine
tonangebende Stellung eingenommen, niemals ist es bis jetzt in dieser Hin-
sicht irgendwie Führerin gewesen. Was Berlin hierin vermag, vermag auch
ein halbes Dutzend anderer deutscher Städte; nur quantitativ ist es, seiner
Größe entsprechend, diesen überlegen. Es empfängt, wie diese, seine An-
regungen, und gibt sie, wie diese, zurück. Doch ist es noch immer zweifelhaft,
zu wessen Gunsten hier die Balance zwischen dem Debet und Eredit aus-
schlägt. Ja, es ist oft, als ob der märkische Boden der alten deutschen Streu-
sandbüchse, auf dem unsere Reichshauxtstadt gebaut ist, trotz allem Dünger,
der ihm von außen zugeiragen wird, sich ganz besonders unfruchtbar erweist,
aus eigener Kraft eine eigene Kultur zur Blüthe zu bringen.

So ist Berlin nie, was man eine „Kunststadt" nennt, gewesen, wie man
andere Städte in unserem vaterlande wohl bezeichnen darf, und wird wohl
auch nie eine solche werden. So hat es hier nie den Begriff „Berliner Kunst" I
gegeben, der auf etwas spezifisch Lokales in der Kunst Berlins hindeutete,
sei es, daß hierin das echte Preußenthum oder nur ein millionenstädtischer
Zug zum Ausdruck käme. Allerweltskunst, das ist die richtige Bezeichnung
für das, was hier auf diesem Gebiete hervorgebracht wird, aber wie es
scheint, für eine Welt, die schon bedenklich im Absterben liegt. Es ist hier
eben alles z'usts inilion, nicht Spitze, nicht Gipfel, und es gibt in dieser
Beziehung für Berlin nur diesen einen Trost, wenn anders dies ein Trost
ist für eine Stadt, die gar zu gerne die Führerin eines ganzen Landes spielen
möchte, daß eben diese Erscheinung sich zur Zeit so ziemlich in unserem
ganzen lieben vaterlande wiederholt und die Berliner Kunst kritisiren fast
gleichbedeutend ist mit die ganze deutsche Kunst kritisiren.

Zu alleu diesen Behauptungen hat es hinsichtlich dessen, was man
angewandte Kunst nennt, lange kein so beweiskräftiges Dokument gegeben,
als die in Rede stehende Ausstellung in Berlin. Was hier an solcher Kunst
ausgestellt war, hätte einerseits ebensogut in jedem beliebigen Theile unseres
Vaterlandes gemacht werden können, ist andererseits jene Jndustriewaare,
die sich zwar den Weltmarkt glücklich erobert, auch in Ehicago genug der
Medaillen eingeheimst hat, die aber fast doch noch immer die nur zu gut
bekannte Devise „billig, aber schlecht" als Geschäftsmarke an sich trägt und
darum den ernster und weiter Schauenden immer mehr ein Grund der
Besorgniß wird. Es kann ja nicht geleugnet werden, daß auch die anderen
Länder in solchen dankbaren, Gewinn versprechenden Dingen eine reiche
Produktivität an den Tag legen, es gibt auch dort eine Schleuderwaare, die
der unserigen in keiner weise etwas an Karakterlosigkeit nachgibt, aber es
kann nicht genug betont werden, daß es in diesen Ländern daneben auch

eine Klasse vornehmer Erzeugnisse individuellen Karakters gibt, die wirklich
auf den Namen „Kunst" Anspruch machen können und die zugleich den Grad-
Messer und den Fortschritt der Kunst der Zeit in sich enthalten. Das aber
sind die leuchtenden Leitsterne für das am Boden klebende Gewürm des
Alltagskunstgewerbes, zu dem es sich so viel es nur immer vermag, empor-
zuheben strebt. Das aber fehlt in den meisten Fällen noch immer unserer
deutschen Kunst, und wo es nicht fehlt, da fehlt die Kraft des Nacheiferns,
so daß das leuchtende Vorbild ohne Nachfolge, ohne Früchte bleibt und die
angewandten Kosten eine Kapitalsanlage ohne Zinsen wird.

Gerade für letztere Behauptung bietet Berlin merkwürdige Belege.
Man gibt sich ja hier, wie bekannt, die größte Mühe, dem deutschen Kunst-
gewerbe mit gutem, ja mit bestem Beispiele voranzugehen. Man hat hier,
als Gesammtgrundlage die Kunstschule des Berliner Gewerbemuseums, die
staatlichen Musteranstalten der König!. Porzellan-Manufaktur und das
König!. Institut für Glasmalerei, und die Erzeugnisse derselben sind
wahrlich das Beste, was hier an Kunst zur Ausstellung gelangt ist. Aber
man zeige die Stelle der Ausstellung, auf die man mit Sicherheit den Finger
hinlegen könnte, als auf diejenige, an der der Segen aller dieser staatlichen
Mühen sich wirklich mit Sicherheit Nachweisen läßt. Man wird ziemlich
vergeblich nach dem moralischen oder faktischen Erfolge sich die Augen ver-
drehen. Die Leistungen dieser staatlichen Anstalten spiegeln sich bis jetzt noch
herzlich wenig in dem großen Kunstgewerbe Berlins wieder. Es scheint
eben hier in Berlin und überhaupt in Deutschland noch kein Publikum
berangewachsen zu sein, für das unbedingte Solidität auch in Sachen der
Kunst eine Selbstverständlichkeit ist.

Und auch der Fortschritt fehlt hier in Berlin, wie überhaupt im ganzen
Deutschland, auf dem Gebiet des Kunstgewerbes, und hier sind leider die
staatlichen Musteranstalten nicht auszunehmen. In dieser Beziehung geht es
ihnen wie den Hoftheatern unserer Tage, die auch vor den jungen, zukunfts-
vollen Dichtern die Thüren schließen. Parole ist hier noch immer die Be-
wahrung, die Nachahmung des bewährten Alten und man glaubt Wunder,
wie man sich sortbewegt, wenn man sich an der Hand der herrischen Frau
Mode von der Antike über die Gothik, Renaissance usw. zum Rokoko leiten
läßt, um sich am Ende des Jahrhunderts im Empire erstaunt an jener Stelle
zu finden, da man sich schon am Beginne desselben befand, von dem Ein-
stuß des modernen Naturalismus, von dem spezifischen Kolorismus, der
überall sonst die Kunst aus dem Schlaf gerüttelt hat, merkt man hier herzlich
wenig, und wo diese beiden auftreten, da nur in vom Auslande erborgten
Gewändern. Die ganze Kunst, die hier in der Berliner Ausstellung sich
präsentirt, stammt, um es kurz zu sagen, aus dem hiesigen Kunstgewerbe-
museum. Das prächtige Museum in der Zimmerstraße ist das große Nach-
schlagebuch aller Berliner Kunsthandwerker, die von dessen kostenfreier Be-
Nutzung nur allzu häufig Gebrauch machen. Das führt aber zu einer
erschrecklichen Unselbstständigkeit; denn was man leicht findet, das braucht
man nicht zu besitzen, nicht sich anzueignen. Das Resultat ist also, daß
diese Kunst eine reine Aeußerlichkeit und «Oberflächlichkeit ist und bleibt.

Mustergiltig sind daher hier die durch staatliche Faktoren ins Leben
gerufenen Erzeugnisse der Berliner Kunstindustrie, die der Berliner Porzellan-
Manufaktur, die für den deutschen Kaiser angefertigten Möbel, sowie die
Arbeiten der Kunstschule des Berliner Kunstgewerbemuseums, nur durch
ihren soliden Geschmack und ihre solide Technik. Sie find die eigentlichen
Glanzpunkte der Ausstellung. Prächtig hat man die beiden ersteren Gruppen
in Szene zu setzen gewußt, gleich vorn am Eingänge der großen Haupthalle
— man hat hier von Paris und Ehicago gelernt — und hier, wie auch in
den Räumen des Wohlfahrtsgebäudes, wo die Arbeiten der Kunstschule zur
Aufstellung gelangt sind, hat man eigentlich allein in der Ausstellung das
Gefühl, sich in einer ganz ehrlichen und reinen künstlerischen Atmosphäre
zu bewegen.

Aber eben der moderne und, wie wir hoffen, bessere Geschmack findet
hier nicht seine ungetrübte Freude. Namentlich die Erzeugnisse der Berliner
 
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