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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 9.1898

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L., A.: Möbel und Holz-Arbeiten im Karakter der Tiroler Gothik
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https://doi.org/10.11588/diglit.7396#0022

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Januar-Heft.

Illustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Innen-Dekoration.

Seite

Möbel uNp Holz-arbeiten im karakter per tiroler gothik.

Bevor wir uns die modernen der Neuzeit sich anpassenden
Wohnungen mit ihren Möbeln im Karakter der Tiroler
Gothik besehen, gestatte
ich mir einige kurze
Worte über die Herkunft
dieser uns allen bekannten
Gothik vorauszuschicken,
denn wir müssen sie ge-
sehen haben, all' die Kunst-
schätze Tirols, um jenes
tiefere Verständniss für
künstlerische Dekoration
zu gewinnen und die Be-
rechtigung des so lange
bestehenden bezw. immer
wieder auflebenden Ge-
schmackes an den struk-
tiven und ornamentalen
Einzelheiten dieser Gothik
stets auf's neue, vielleicht
auf unabsehbare Zeiten zu
verlängern und damit noch
eingehender würdigen zu
lernen. Unzweifelhaft ver-
fügt gerade die Tiroler
Gothik anderen Stilarten
gegenüber über Vorzüge,
die rückhaltlos auch vom
Auslande nicht nur aner-
kannt, sondern auch ver-
werthet werden.

Was ist Tiroler Gothik ?
Nichts anderes, als eine
Früh-Renaissance, deren
Formen der Kirchen-
gothik, d. h. aus deren
Innenräumen, Sakristeien
etc. entnommen, schon im
14. und 15. Jahrh., durch
tüchtige Laien-Handwer-
ker für profane Zwecke
umgebildet, in Burgen und
Schlösser, ja sogar bis in
die kleinsten Bauernstuben
übertragen worden sind.
Und wie einladend tritt diese Gothik gerade dorten mit ihrer
Einfachheit auf, wo die bescheidenen weichen Formen: abge-
rundete Stäbe, mit den breitspurigen, meist glatten Füllungen
vorherrschen. Wie wohlthuend ist dem Auge das schlichte in
Natur gehaltene und vom Alter braun gewordene Zirbel-Holz
an den Wänden und Decken, und wie appetitlich und säuberlich

Abbild. Nr. 754. Waschtisch in modernem Karakter. Entw. von R. Godron, München.

wieder ist das mit Schmiedeeisen zierlich beschlagene Möbel, die
hübsch bekrönten und segmentbogenförmig abgeschlossenen

Thüren und Fenster. Die
Wandschränke, [Truhen,
Bänke und Tische aus
völlig rohen Brettern fast
ohne jede Verkröpfung,
schlicht in Zapfen, Keilen,
mit sichtbaren Verzinkun-
gen oder auf Nuthungen
und mit sichtbaren grossen
Nägeln zusammengebaut;
wie anheimelnd für's Auge
ist das Fenster mit runden
Butzenscheiben und mit
dem praktischen, ver-
schiebbaren Luftflügel
oder dem sogenannten
»Lueg in's Land« ? (Ein
extra angebrachtes klei-
neres Fenster.)

Behäbig grüsst uns
der grosse, ganz mit
Bänken umgebene, saftig
grüne Kachel- oder Back-
ofen, hinter demselben der
oft angebrachte, auf Stufen
erbaute Sitz aus Kacheln;
wie einladend umfluthet
uns die den Kacheln ent-
strömende Wärme. Mit
Wohlbehagen nähern wir
uns dem einladenden Tisch
und den Bänken, jetzt erst
besehen wir uns alle die
Zierrathen an den Schrän-
ken , Thüren, Wänden,
Balken, Decken, und mit
welch' gesundem Humor
sind alle diese wunder-
baren Einzelheiten der je-
weiligen Fläche oder Ecke
auf den Leib geschnitten,
geschaffen von schlichten
Handwerkern. — In der
nüchternsten Einfachheit finden wir eine Welt voller Zauber,
verbunden durch die mannigfaltigsten und in die schönsten
Linien gezogenen ornamentalen Pflanzen - Motive: stilisirte
Ranken, Blumen, Trauben, Rosetten u. s. w. durchsetzt mit
dem dorten heimischen Wild, mit Hausthieren, Fischen,
Vögeln, ferner mit Wappen, Emblemen, Hausmarken und
 
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