Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 9.1898

DOI Artikel:
Schmitz, Oscar A. H.: Ueber Technik, Form und Stil, [2]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7396#0131

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Seite 106.

Illustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Innen-Dekoration.

Juli-Heft.

ueber Technik, Form unp stil

Von Oscar A.—h. Schmitz. (Schluss aus dem Juni-Heft.)

Porzellan-, Email-, Gobelin-Darstellungen bedürfen grösserer
Prägnanz der Linie als die Malerei, da ihnen die däm-
mernden Halbtöne, die wechselnden Schatten, das Sfumato
weniger oder gar nicht zu Gebote stehen. Sie zwingen zu
vereinfachender Stilisirung, ansonst kindisches Gestammel
entsteht. Das Streben nach äusserer Naturwahrheit würde
hier nicht nur an der Natur, sondern schon an flüssigeren
Kunstgattungen allzustarke Nebenbuhler haben. Wenn wir
die Malerei der Historie als etwas Unharmonisches empfinden,
einzelne durch die Stilisirung der Farbe bedingte Ausnahmen
abgerechnet (z. B. Rubens' bethlehemitischer Kindermord in
der alten Pinakothek), so wirken gewebte Historienbilder, wie
sie das 17. Jahrhundert hervorgebracht hat, völlig kalt und
geistlos (z. B. le roi visitant les gobelins in der Fabrique des
Gobelins, Paris). Wie warm muthet dagegen (ebendaselbst)
der Nymphentanz nach Rafael an, wo alles sanfte, anmuthige
Bewegung ist. Selbst Genre-Szenen (z. B. Gombaut und
Mace, les joueurs de tiquet) treten nicht aus dem der Gobelin-
technik gezogenen Rahmen heraus. Diese Darstellungen
wetteifern weder mit der Natur, noch mit irgend einer anderen
Kunstgattung, da ihre Schönheit durch den Einklang der
Formengebung mit der Eigenart der Technik bedingt ist.
Unserem persönlichen Geschmack scheinen die rein ornamen-
talen Teppiche — etwa persische — um ihrer Ruhe willen
noch vorzüglicher.

Wenn die dem Material gemäss stilisirt sind, werden
zweifellos auch mit figürlichen Darstellungen harmonische
Wirkungen erzielt, z. B. die Teppiche der Fontainebleauer
Schule im 16. Jahrhundert. Sie wirken sogar bedeutend
wärmer als die Malerei derselben Schule, welche dadurch,
dass sie — besonders koloristisch — allzuweit hinter den
Möglichkeiten von äusserer Naturwahrheit zurückbleibt, welche
der Malerei geboten sind, oft kalt und unbelebt erscheinen.
Aehnliches lässt sich an den Webereien nach den akade-
mischen Bildern des seicento bemerken.

Ziel des Kunstgewerbes ist also, dass die Zähigkeit der
Technik, die dem Beschauer überhaupt nicht zu Beuuusstsein
kommen darf, nicht nur kein Hindemiss biete, sondern
befruchte; sie zwingt zu sorgsamerer Erwägung der Formen-
gebung, die sich der technischen Eigenart anpassen muss.

Aus demselben Grund greift man immer wieder zu den
spröden kunstgewerblichen Verfahren, weshalb einzelne Dichter
— zum Erstaunen des verrotteten Zeitalters — ihre Empfin-
dungen in Sonette und Terzinen giessen, die doch »der Per-
sönlichkeit eine freie Aussprache verbieten«. ,Wo es sich
allerdings um diese handelt, ist es besser in Prosa zu wüthen.
Aber Sonett und Terzine wollen etwas anderes als unge-
schlachten Persönlichkeiten zu Ausdrucksmitteln dienen. Wer
Ohren hat zu hören, weiss längst was sie wollen.

Wenn spröde Techniken mit der Malerei um Natur-
wahrheit buhlen, so geschieht was Dante im Paradiso ver-
suchte, wo er Naturwissenschaft und Metaphysik in Terzinen
predigt. Unsere Lehrer der Literärgeschichte haben vergessen,
dass hierzu nichts als eine äusserliche Sprachvirtuosität gehört.

Die meisten primitiven Bilder wären ihrer Ruhe wegen
in Gobelins zu übersetzen, lächerlich aber und dem heutigen
bürgerlichen Geschmack durchaus angemessen, sind die
modernen Delfter Fabrikate, welche Rembrandt'sche Köpfe
in Tortenplatten gebrannt zeigen. Auch den berühmten
Rafael'schen Teppichen ziehen wir die Cartons-Darstellungen

vor und wünschten noch mehr, dass sie al fresco an Saal-
wänden prangten. Der kunstgewerblichen Darstellung durchaus
angemessen sind die galanten Szenen des 18. Jahrhunderts.
Die hohe Bedeutung der japanischen Dekoration beruht auf
der keuschen Unstofflichkeit, auf der selbstverständlich schei-
nenden Harmonie zwischen Technik und Form. Niemals hat
man bei dieser primitiven Formengebung das Gefühl der
Unbeholfenheit. Wie bei den Meistern der Frührenaissance,
den Holländern des 17. und den Franzosen des 18. Jahr-
hunderts, finden sich in dieser Kunst fast immer dieselben
Stoffe, hier Menschen, in der Landschaft bewegt, dort Frauen
im Innern des Hauses schaltend; aber nie kommt es uns in
den Sinn, darum von Armuth zu sprechen. Niemand denkt
daran — d. h. einzelne natürlich doch, aber diese zählen nicht
mit — ob Memlinc oder Botticelli »die« Madonna besser
dargestellt habe, ob Watteau galanter sei als Fragonard,
ob Outamaro das japanische Kostüm treuer wiedergebe als
Hokusai; während bei den Historienbildern das Stoffliche
stets im Vordergrund steht. So hat uns bei der Enthüllung
der Reiterstatue Kaiser Wilhelms I. in Frankfurt a. M. — die
eigentlich eine Majestätsbeleidigung ist - - ein gesinnungs-
tüchtiger Veteran vorgehalten, unser Urtheil könne hier wenig
bedeuten, während er den Herrscher zahllose Male im Felde
gesehen, wo er gerade so und nicht anders ausgesehen habe.

-4

So lange noch der Bauer über Landschaftsbilder, der
Pfarrer über Madonnen-Darstellungen, der Fruchthändler über
Stillleben urtheilen darf, ist ein Volk ein unkultivirtes.

Von grösster Harmonie in Stil und Technik sind die
meisten Fayencen aus Rouen, Nevers und Delft im 17. und
18. Jahrhundert. In Sevres verfiel man häufig in einen unan-
genehmen Naturalismus. Auch die berühmten Arbeiten des
Bernard Palissy wollen oft schon mehr, als seine Technik
frei auszudrücken erlaubt. In Italien sind die Arbeiten aus
Faenza und Chaffagiolo im 15. und am Anfang des 16. Jahrhun-
derts mustergültig solange sie von Botticelli, Ghirlandajo etc.
beeinflusste Typen darstellen. Sobald sich die freiere Rafael'sche
Formengebung einschleicht, sobald die Herbheit der Linie,
die der starren Technik so angemessen war, dem Streben
nach Rundheit weicht, beginnt man das spröde Material als
etwas Negatives, als Hemmniss zu empfinden. Zwar kommen
in dieser Zeit wundersame Tonverfeinerungen auf — etwa
der reflet metallique — welche jenen Arbeiten eine eigene
Schönheit verleihen. In den Schöpfungen aus Gubbio und
Castel Durante herrscht noch im 16. Jahrhundert die jung-
fräuliche Herbheit der Frührenaissance, denn diese Ortschaften
waren dem Einfluss lionardischer Kunst ausgesetzt. Auch
glauben wir, dass die hoch gerühmten Teller aus Urbino und
Marino ihren Ruf vielmehr den ungemein verfeinerten Tönen
danken, als ihren linearen Eigenschaften, in welchen sie der
keuschen Schönheit primitiver Arbeiten weit nachstehen.

¥

Dieselbe Entwickelung lässt sich bei den Emailfabrikaten
aus Limoges beobachten. Während sich um 1500 die Penni-
cauds noch hohen Masses befleissen und Lionard Limousin
selbst in den Passions - Szenen grosse Ruhe und Herbheit
bewahrt, beginnt am Ende des 16. Jahrhunderts auch hier
der Verfall, indem man an äusserer Naturtreue mit der
Malerei zu wetteifern sucht. So sind die neun Riesen-Email-
platten, die Franz I. bei Courteys bestellte, geradezu abscheu-
lich. Die manierirten Formen der Spätrenaissance, die in
der Malerei bisweilen noch zu ertragen sind, wirken in der
zäheren Cloisonnetechnik geradezu widerwärtig.
 
Annotationen