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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 9.1898

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Witting, Felix: Zum Problem der Innen-Beleuchtung
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https://doi.org/10.11588/diglit.7396#0203

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Seite 170.

Illustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Innen-Dekoration.

November-Heft.

£um Problem per Innen-Beleuchtung.

Es ist Frühnachmittag. Die Sonne scheint voll auf die
gegenüberliegende hellfarbige Häuserreihe und kräftig
reflektirt dringen ihre Strahlen durch das Fenster meines
Zimmers. Ich habe künstlich und mühsam die grössere Partie
desselben oben verhängt und geniesse nun den Zauber, den

diesem Lichtgefluthe. Und die Gegenstände nehmen sich
heute ganz anders in meinem Zimmer aus, ich sah sie täglich,
doch nie wirkten sie so intensiv anziehend wie gerade heute.

Die Möglichkeit solcher Metamorphose, welche das Licht
mit unserer Umgebung vornimmt, sollte eigentlich schon ein

unveräusserlicher Theil der

künstlerischen
tung unseres

Abbildung Nummer 940. Zimmer in der Glaspalast - Ausstellung München

Architekten Heibig & Haiger, München.

diese eigenartige neue Belichtung meiner vier Wände bereitet.
Unten strömt der Sonnenschein ungehindert herein, oben im
Zimmer aber wird es dunkler und dunkler und zwischen
höchster Helligkeit und tiefstem Schatten breitet sich ein
unendlich reichnuancirtes Helldunkel aus. Ich bin in Lektüre
vertieft und lasse voll und ganz die beruhigende Wirkung
dieser Beleuchtung über mich ergehen — es erhöht schon so
mein Wohlbefinden. Und wenn dann mein Auge für Momente
vom Buche aufblickt, findet es immer wieder neue Reize in

Ausgestal-
häuslichen
Milieus sein. Wie doku-
mentären wir sonst unsere
Liebe zum Licht mit seinem
so grossen Erscheinungs-
reichthum, eine Liebe, wie
sie noch keine Zeit vor uns
so inbrünstig gehegt?

Dagegen — welch ein-
tönige Beleuchtung herrscht
zumeist in unseren Wohn-
räumen. Wenn die Natur
nicht selbst einige Ab-
wechselung schafft — der
Mensch thut nichts dafür.
Da ist überall in den Zim-
mern die ewig sich gleichblei-
bende Oeffnung — Fenster
genannt — welche das Tages-
licht hereinlässt, so und so
hoch über dem Fussboden
.angebracht, stets gleich
gross, einerlei, in was für
•einem Raum es sich befindet.
Man hat damit ein Gesetz
gefunden, mit dem man dem
Menschen ein- für allemal
und in jeder Beziehung
genug zu thun glaubt. Aber
wie anders müsste es sein,
wenn einmal das Postulat,
■die Kunst — also auch die
Architektur — habe den
Karakter ihrer Zeit zum
Ausdruck zu bringen, ernst-
lich ins Auge gefasst würde.

Der idealen Lösung der
Beleuchtungsfrage speziell
steht nun allerdings meist
ein grosses Hinderniss im
Wege: die Nothwendigkeit
mehrstöckiger Miethshäuser,
die aus konstruktiven wie
materiellen Gründen eine
Verschiebung und Kom-
plizirung der Anlage in der
Vertikalaxe nicht zulassen. Aber doch liesse sich, was die
Lichtfrage angeht, wohlthätiger Wandel schaffen, wenn man
sich einmal entschlösse, das Fenster als Mittel ästhetischer
Wirkungen zu betrachten. Sollte es einem empfindsamen
Wesen wirklich einerlei sein, zu jeder Tageszeit, in jeder
Stimmung der nämlichen gleichgrossen Lichtöffnung gegen-
über zu sitzen? Führen wir wirklich ein so starkes Innen-
leben, dass wir des nicht mehr achteten ? Das hiesse ja nichts
anderes, als wir existirten zeitweilig physiologisch nicht mehr.
 
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