Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Das Kunstgewerbe in Elsaß-Lothringen — 1.1900-1901

DOI Artikel:
Eine moderne Kunstgewerbeschule, [4]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.6476#0202

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
i88

Lcitscliuh: Eine moderne Kunstgewerbeschule.

Geschick vergangener Jahrhunderte im
Allgemeinen, auch in der Fassung der
Edelsteine, nachgestrebt wird. Ähnliches
lässt sich auch von der Werkstätte für
Kunstschlosserei sagen. Der Unterricht
beginnt hier mit der technischen Hand-
fertigkeit und geht nach erlangter Übung
zur Bau- und dann zur eigentlichen Kunst-
schlosserei, zur Treib-, Kunstschmiede-
arbeit u. s. w. über. Auch auf diesem
Gebiete, auf welchem die Technik in den
jüngsten Jahren so bedeutende Fortschritte
gemacht hat, war die Vergangenheit
Führerin, deren Werke aber durch die
leichte Behandlung des Blattwerkes, durch
ihre reiche Blütenentwickelung stets auf
die Bildung und Behandlung der Form
durch die Lehrmeisterin Natur das Studium
hinlenken. In der Werkstätte für Kunst-
schreinerei geht das fachliche Zeichnen
Hand in Hand mit der Pflege der tech-
nischen Handfertigkeiten. Es ist hier zur
Regel geworden, dass der Schüler nichts
anfertigt, was er nicht zuerst geometrisch
und dann perspektivisch gezeichnet hat.
Dadurch verschafft sich der Schüler nicht
nur die Fähigkeit, die Pläne und Zeich-
nungen anderer zu verstehen, sondern er
lernt auch, seine eigenen Gedanken und
Ideen in Plänen und Zeichnungen auszu-
drücken. In der Werkstätte wird der
Unterricht allmählich in die Möbelschrei-
nerei übergeführt, so dass der Lehrling
sich eine vollständige Kenntnis der prak-
tischen Details seines zukünftigen gewerb-
lichen Berufes verschaffen kann, und durch
diese Lehrmethode mit der technischen
Anwendung des theoretischen Wissens auf
die praktische Arbeit vertraut wird. Mit
den einfachsten Dingen, wie Holzver-
bindungen, wird begonnen, und schliesslich
zu ganz bedeutsamen Leistungen fortge-
schritten. Was das Naturstudium in dieser
Werkstätte betrifft, so darf man natürlich
nicht annehmen, dass hier verlangt wird,
dass der Tischler ohne Kenntnis bisheriger
Möbelformen einfach auf Grund seiner
Pflanzenstudien etwa einen Stuhl aufbaue!
Zweifellos ist aber ein sorgfältiges Natur-
studium für jede Art künstlerischer Thä-

tigkeit von ausserordentlich bildendem
Einfluss, und auch der Tischler muss seinen
Vorteil davon haben, wenn die unerläss-
liche Verarbeitung des durch Naturstudium
gewonnenen Materials für praktisch eZwecke
geübt wird, wie dies hier der Fall ist.

Auch das geometrische, perspektivische
und architektonische Zeichnen wird zu
Gunsten des Naturstudiums in keiner
Weise vernachlässigt.

An der Schule besteht auch eine fleissig
frequentierte Damenabteilung, in der eben-
falls nach der Natur gezeichnet, gemalt
und modelliert wird. Diese Abteilung hat
nun eine erhöhte Bedeutung insofern ge-
wonnen, als die Bestimmung durch den
Statthalter getroffen worden ist, dass all-
jährlich auch in Elsass-Lothringen eine
Prüfung für Zeichenlehrerinnen abgehalten
wird. Die meisten der Kandidatinnen er-
halten ihre künstlerische und theoretische
Vorbildung zu dieser Prüfung an der
Kunstgewerbeschule.

Die fast alljährlich wiederkehrenden
Ausstellungen von Schülerarbeiten aus
sämtlichen Abteilungen erbringen den
erfreulichen Beweis, dass die Methode, die
Seder einführte, von allen, die an derSchule
lehren und lernen, mit Verständnis und
Begeisterung erfasst und gepflegt wird;
alle Arbeiten sind durchdrungen von dem
lebenskräftigen Einfluss der Schule, deren
hohe Bedeutung für das Elsass heute ausser
Zweifel steht.

Die Strassburger Kunstgewerbeschule
tritt uns in ihren Leistungen schon heute
als eine kraftvoll gereifte Anstalt entgegen,
emporgewachsen aus denselben Wurzeln
unserer nationalen künstlerischen Bildung,
die uns von jeher an das Elsass knüpfen.
Ein Erbstück der alten Kunstübung ist
vor allem der Sinn für Formenschönheit,
der neu auflebte, seit wir den xA.nschluss
an die Natur, die grosse, ewig jugend-
liche Lehrmeisterin, wiedergefunden haben.
Aber dieses innige Anschliessen schliesst
nicht aus, dass wir von den alten, ehr-
würdigen Vorbildern, den Werken unserer
Vorfahren, lernen; denn gerade die köst-
lichsten Schöpfungen der Alten tragen am
 
Annotationen